Umfrage: „Wir wollen Flandern zurück“

Mehrheit der Niederländer für „Wiedervereinigung“ mit ihren Verwandten in Nordbelgien. Die wollen aber nicht recht.

AMSTERDAM/ANTWERPEN. Die Landkarte, die die Amsterdamer Zeitung „de Telegraaf“ publiziert hat, sieht imposant aus. Sie reicht von Groningen im Norden über Den Haag bis Brüssel im Süden. Die Bildunterschrift ist deutlich: Die Niederlande zusammen mit dem belgischen Flandern – das wäre ein Land mit 24 Millionen Menschen und einer Wirtschaftsleistung von etwa jener Spaniens.

„60 Prozent der Niederländer sind für die Vereinigung mit Flandern“, zitiert der „Telegraaf“ eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts „Nipo“. Die meisten Niederländer wollen demnach, dass die seit 1830 durch die belgische Revolution erfolgte Spaltung des kurzlebigen Vereinigten Königreichs der Niederlande (1815-30), das die heutige Benelux-Region umfasste, endet. Zumindest teilweise: Das frankofone Wallonien und das ebenfalls einst vom niederländischen Königshaus repräsentierte Großherzogtum Luxemburg sollen draussen bleiben – es geht in den Planspielen niederländischer und belgischer Medien nur um die Einheit Niederlande-Flandern.

Das leuchtet ein, denn in beiden Regionen spricht man dieselbe Sprache: Niederländisch (auch, wenn die flämische Version weicher und blumiger ist als das harte, vom Calvinismus geprägte Nord-Niederländisch. Das ist ähnlich wie in Deutschland zwischen Münchnern und Hannoveranern).

Den Flamen sind die Wiedervereinigungs-Gedanken der Niederländer nicht entgangen. „Es ist deutlich, die öffentliche Meinung wird radikaler, aber das heißt noch nicht, dass wir uns den Niederlanden anschließen möchten“, schreibt Kommentator Dirk Castrel in der ,,Gazet van Antwerpen“.

Die „Bosse“ aus dem Norden

Er und andere flämische Kommentatoren verweisen auch mit einem Seitenhieb auf die derzeit so schwierigen Koalitionsverhandlungen zur Bildung einer neuen belgischen Zentralregierung: Je länger das Gezerre zwischen Flamen und Wallonen dauere, desto tiefer werde der ohnehin unübersehbare Riss im eigenen Land.

Auch das Brüsseler Boulevardblatt ,,Het Laatste Nieuws“ hat sich in die Debatte eingeschaltet: ,,Wir schätzen, dass höchstens zehn Prozent der Flamen mit den Niederlanden zusammengehen wollen, meint Kommentator Luc van der Kelen. ,,Zwischen uns und den Ollanders gibt es doch große Kulturunterschiede.“ ,Ollanders“ ist der wenig positiv besetzte Spitzname der Flamen für ihre nördlichen Nachbarn. „Die Ollanders“, frotzelt van der Kelen, „wollen immer den Boss raushängen lassen. Flandern aber ist ein gemütliches Land. Das kann man von den Niederlanden nicht sagen.“

Sollte er damit meinen, dass es in Flandern nicht nur gemütlicher ist, sondern es sich kulinarisch zwischen Antwerpen, Gent und Ostende besser leben lässt als in den Niederlanden, hat er Recht. Zudem gibt es noch zwei Probleme, die die Wiedervereinigung Flanderns und der Niederlande behindern. Erstens: Die Königshäuser Oranien-Nassau (Niederlande) und Sachsen-Coburg (Belgien). Wer sollte einen Niederländisch-flämischen Staat repräsentieren? Königin Beatrix oder König Albert II.?

Noch komplizierter ist das Problem Brüssel. Belgiens Hauptstadt liegt zwar in Flandern und wird von den Flamen auch als ihre Kapitale betrachtet – doch das multikulturelle Brüssel ist de facto zu 80 Prozent frankofon, obwohl es laut Belgiens Verfassung zweisprachig zu sein hat. Doch in den meisten Brüsseler Bezirken kommt man mit Niederländisch nicht weit.

Rechte für „Republik Flandern“

Nicht einmal der rechtsextreme „Vlaams Belang“, der Belgien auflösen will, ist für die Fusion mit den ethnischen Verwandten: Er will nämlich einen eigenen Staat Flandern. Damit vertritt er zwar noch eine Minderheitsmeinung. Aber die Stimmen in Flandern, die Unabhängigkeit fordern, werden lauter. Die jetzt in den Medien heftig geführte Debatte in den „nördlichen und den südlichen Niederlanden“, wie die Niederlande und Flandern von Historikern gerne umschrieben werden, beweist das.

LEXIKON. Das junge Königreich

Belgien war lange zersplittert und unter fremder Kontrolle, etwa seitens Burgunds, des Deutschen Reichs, der spanischen und österreichischen (1713-1795) Habsburger. Im Wiener Kongress 1815 wird es zum Teil der Niederlande. 1830 Abspaltung in der „belgischen Revolution“; Leopold von Sachsen-Coburg und Gotha, ein Deutscher, wird König. Niederländer und Franzosen intervenieren; Belgiens Souveränität wird 1839 anerkannt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.08.2007)

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