Gadhafi stellt sich in Paris selbst den Persilschein aus

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Die Lage der Menschenrechte ist nicht so rosig, wie sie der Staatschef zeichnet.

Wien/Paris (hd, ag.). Muammar Gadhafi machte es seinem Gastgeber wirklich nicht leicht: Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy wurde ohnehin seit Tagen im In- und Ausland dafür geprügelt, dass er Anfang dieser Woche – ausgerechnet am Tag der Menschenrechte – Libyens Dauer-Revolutionsführer in Paris empfing. Seit einigen Jahren gilt der lange Zeit geächtete Gadhafi zwar wieder als hoffähig, doch der Besuch in einem der wichtigsten westlichen Länder kann an Symbolkraft kaum überschätzt werden.

Gadhafi bedankte sich auf seine Weise, indem er nach dem Treffen mit Sarkozy erklärte, über das Thema Menschenrechte habe man nicht gesprochen, obwohl Sarkozy das Gegenteil bekundet hatte. Damit nicht genug: In Libyen gebe es keine Probleme mit der Menschenrechtslage, legte er Dienstagabend in einem TV-Interview nach. Die Europäer hingegen hätten Menschen aus Afrika „wie Vieh hierhergebracht, damit wir schwere und dreckige Arbeit verrichten, und sie haben uns in die Vorstädte geworfen. Wenn wir unsere Rechte einfordern, werden wir von der Polizei geschlagen.“

Keine Menschenrechtsprobleme in Libyen? Bei internationalen NGOs sieht man das anders: Zwar erkennt Human Rights Watch an, dass sich die Situation verbessert habe, es gebe aber nach wie vor „ernste Menschenrechtsverletzungen“. Die Organisation spricht von „Dutzenden, vielleicht hunderten politischen Gefangenen“. Die Regierung stecke weiter Leute ins Gefängnis, die Kritik an Revolutionsführer oder System äußerten.

„Massive Foltervorwürfe“

In den Gefängnissen und Polizeistationen aber droht mitunter Folter: An den zuständigen UN-Sonderberichterstatter Manfred Nowak werden regelmäßig „teils massive“ Foltervorwürfe herangetragen: „Ich gehe davon aus, dass etwas dran ist“, sagt Nowak im Gespräch mit der „Presse“ und verweist auf seine glaubwürdigen Quellen. Die Regierung reagiere nur halbherzig: Sie bekunde zwar, den Vorwürfen nachgehen zu wollen, doch dabei bleibe es dann.

Nowak hat zwar um eine fact-finding-mission angesucht, es gab dazu aus Tripolis aber keine Reaktion. Die vier dringlichen Anfragen, die er heuer an Libyen gerichtet habe, seien nur „die Spitze des Eisbergs“. Die Zivilgesellschaft hat so wenig Handlungsspielraum, dass Opfer kaum Möglichkeiten haben, ihre Klagen vorzubringen.

Dennoch hat sich in Libyen viel verändert. Seit 2003 hat Gadhafi durch einige spektakuläre Aktionen erreicht, dass er nicht mehr als Paria gilt. Politiker von Schröder über Blair bis Chirac standen vor dem Wüstenzelt des Revolutionsführers förmlich Schlange.
•Im August 2003 übernahm Libyen die Verantwortung für den Lockerbie-Anschlag: 270 Menschen waren 1988 bei der Explosion eines Flugzeugs über dem schottischen Ort gestorben. Die Opferfamilien erhielten Entschädigungs-Zahlungen, die UNO hob ihre Libyen-Sanktionen auf.
•Im selben Jahr kündigte Gadhafi an, auf Massenvernichtungswaffen zu verzichten und das Atomprogramm einzustellen. Dies brachte ihm die Normalisierung der Beziehungen zu den USA ein. Von der US-Terrorliste wurde Libyen aber erst 2006 gestrichen.
•Im Juli ließ Libyen fünf bulgarische Krankenschwestern und einen Arzt frei, die zum Tode verurteilt worden waren: Man hatte sie beschuldigt, hunderte Kinder absichtlich mit dem HI-Virus infiziert zu haben. Jahre saßen sie im Gefängnis und wurden gefoltert.

Nur einen Tag nach der Beilegung dieser jahrelangen Krise kam Sarkozy bereits nach Tripolis zum Foto-Termin mit Gadhafi. Damals wurden auch die Rüstungs- und Nuklear-Geschäfte vereinbart, die nun in Paris besiegelt wurden. Volumen: zehn Mrd. Euro. Rama Jade, Staatssekretärin für Menschenrechte, blieb da nur mehr der fast verzweifelt wirkende Appell: „Frankreich ist mehr als nur eine Handelsbilanz.“ Meinung S. 39

REVOLUTIONSFÜHRER

Oberst Muammar al-Gadhafi putschte 1969 gegen König Idris. 1977 rief er die „Volksrevolution“ aus: Libyen wurde zum „Volksmassenstaat“, die Macht blieb freilich bei Gadhafi. Seine Pläne, Libyen mit anderen arabischen Staaten zu vereinen, schlugen fehl. Seit Jahren spielt Gadhafi deshalb die afrikanische Karte und redet heute den „Vereinigten Staaten von Afrika“ das Wort. Immer mit dabei auf seinen Reisen: das Beduinenzelt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.12.2007)

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