Religion und Politik: Die bröckelnde Mauer

AP (Corrado Giambalvo)
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USA. Religion und persönlicher Glaube haben noch nie eine so große Rolle gespielt wie im aktuellen Präsidentschaftswahlkampf.

Derart politisch inkorrekte Präsidentschaftskandidaten gab es in den USA schon lange nicht mehr. „Frohe Weihnachten“, wünscht da tatsächlich Rudy Giuliani im TV-Spot. John McCain, der republikanische Senator, spricht gar von „gesegneten Weihnachten“ und Mike Huckabee, Ex-Gouverneur aus Arkansas, wagt es daran zu erinnern, dass man zu Weihnachten die Geburt Jesu Christi feiert.

Für die USA ist das keine Kleinigkeit. In einem Land, in dem man aus Sorge, irgendeine Religion zu beleidigen, maximal „schöne Feiertage“ wünscht oder noch neutraler „Season's Greetings“, ist das Wort Weihnachten aus dem Mund eines Politiker eine kleine Revolution.

Clinton betet jeden Tag

In diesem Wahlkampf überrascht es aber wenig. Noch nie hat Religion und persönlicher Glaube eine solche große Rolle gespielt, wie diesmal. Glauben ist schick und wählerwirksam, und kein Politiker hält mit seiner religiösen Überzeugung hinterm Berg.

Der Aufstieg von Mike Huckabee, der offen die Evolutionstheorie in Frage stellt und erklärt, Gott habe die Welt erschaffen, ist einzig auf die religiösen Rechten zurückzuführen. Welche Macht und Einfluss sie haben, zeigte sich bei George Bushs Wahlkämpfen 2000 und 2006. Ihnen verdankt der Texaner sein Präsidentenamt, und dieses Wählerpotenzial wollen alle Kandidaten nützen.

Hillary Clinton erklärt, sie bete jeden Tag. Barack Obama donnerte wie ein Prediger von einer Wahlkampfbühne und meint, er sei „der Hüter meines Bruder“.

Wie wichtig US-Bürgern der persönliche Glaube eines Kandidaten ist, zeigt eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gallup: Demnach können sich 94 Prozent vorstellen, für einen schwarzen Präsidentschaftskandidaten zu stimmen; 88 Prozent für einen weiblichen; 55 Prozent sogar für einen, der homosexuell ist. Nur eines können sich die Amerikaner nicht vorstellen: Für einen Kandidaten zu stimmen, der Atheist ist. Diese Eigenschaft war die einzige, die eine deutliche Ablehnung von 53 Prozent Nein-Stimmen brachte.

Es sei wichtig, dass jemand einen Glauben habe, weil die Menschen sonst meinten, er habe keine Werte, erklärt Karlyn Bowman vom Think-Tank „American Enterprise Institute“. Der „falsche“ Glaube kann aber auch Probleme bereiten: John F. Kennedy musste 1960 seine Zugehörigkeit zur katholischen Kirche verteidigen; diesmal ist es Mitt Romney, dessen Mitgliedschaft bei den Mormonen konservativen Republikanern ein Problem bereitet.

Die Bedeutung der Religion in diesem Wahlkampf spiegelt die Bedeutung in der Bevölkerung wider. 82 Prozent der US-Bürger sagen, sie glaubten an einen Gott (in Europa sind es nur 41 Prozent). Nur 16 Prozent sagen, sie gingen „nie“ in die Kirche.

Dabei taten die USA seit ihrer Gründung alles, um die Religion aus dem Staat zu halten. Gleich der erste Verfassungszusatz verbietet alle Versuche, eine Staatsreligion einzuführen. Morgengebete in der Schule sind tabu, ebenso Religionsunterricht oder die Nutzung von kirchlichen Einrichtungen für öffentliche Zwecke. Thomas Jefferson sprach davon, „eine Mauer der Trennung zwischen dem Garten der Kirche und der Wildnis der Welt“ aufzubauen. Tatsächlich gibt es eine Mauer zwischen Religion und Staat, aber die zwischen Religion und Politik bröckelt stark.

Auserwählter Bush

Das Sprechen über den eigenen Glauben gehört derzeit zum Repertoire eines amerikanischen Politikers wie ein Abzugsplan aus dem Irak. Aufbereitet hat das unter anderem George Bush, der wie kein anderer US-Präsident seinen persönlichen Glauben ins Amt einbrachte. Unter ihm wurde sichergestellt, dass Gelder für Sozialprojekte vor allem an religiöse Gruppen, sogenannte „Faith-based-Initiatives“, gingen. Und Bush sieht sich offenbar auch von Gott berufen, wie sein einstiger Handelsminister Don Evans erklärte: Der Präsident sehe sich von Gott auserwählt, die Nation in dieser schweren Zeit zu führen.

Wer auch immer am 20. Jänner 2009 als neuer US-Präsident angelobt werden wird, zwei Dinge bleiben gleich: Er wird den Amtseid mit der linken Hand auf der Bibel ablegen und seine Inaugurationsrede mit den Worten beenden „ . . . and may God bless America.“

UMFRAGE

„Wie religiös sind die Politiker?“, wollte das Pew-Center wissen:

Mitt Romney (ein Mormome) führt das Feld an, vor dem Demokraten John Edwards und Barack Obama. Alle drei werden als religiöser eingeschätzt als McCain, Thompson und Giuliani.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.12.2007)

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