Die weltweite Rezession der Demokratie

AP (Mohammad Zuba)
  • Drucken

Die Freiheit ist laut Studie des „Freedom House“ auf dem Rückzug. Das könnte damit zu tun haben, dass die USA an Glaubwürdigkeit verlieren, China und Russland aber als Modelle gelten.

Es waren aufregende, euphorische Zeiten, und auch Intellektuelle ließen sich davon mitreißen. Es war die Zeit, als ein 37-jähriger amerikanischer Politologe namens Francis Fukuyama das „Ende der Geschichte“ verkündete und über Nacht weltberühmt wurde. Man schrieb das Jahr 1989. Die Berliner Mauer war gefallen, der Kommunismus niedergerungen. Die Menschheit schien sich endgültig auf eine Regierungsform geeinigt zu haben: die liberale Demokratie. Tatsächlich breitete sich eine neue Welle der Freiheit aus. Nicht nur Europa wurde erfasst, auch Asien, Lateinamerika und Afrika. Unaufhaltsam schritt die Demokratie vorwärts.

Seit zwei Jahren ist sie wieder auf dem Rückzug. Zu diesem Schluss kommt das „Freedom House“, eine unabhängige US-Menschenrechtsorganisation, die der Freiheit seit 1972 weltweit auf den Puls fühlt. Die Bilanz für 2007 ist ernüchternd: In einem Fünftel aller Länder der Welt habe sich die politische Situation verschlimmert, schreibt Arch Puddington, der Direktor des Freedom House.

Rückschläge in Südasien

Besonders gravierend seien die Rückschläge in Südasien, doch auch in Ländern der ehemaligen Sowjetunion, des Nahen Ostens und Afrikas hätten Feinde der Freiheit wieder Hochsaison.

Die Welt erlebt eine demokratische Rezession. Am spektakulärsten ist Pakistan auf die schiefe Bahn geraten. Präsident Musharraf hielt sich mit dubiosen Verfassungstricks an der Macht, verhängte den Ausnahmezustand, setzte Richter und Regimekritiker unter Hausarrest. Und als Oppositionsführerin Benazir Bhutto aus dem Exil zurückkehrte, um an Parlamentswahlen teilzunehmen, wurde sie ermordet. Von wem, ist bis heute nicht restlos geklärt, auch nicht nach dem Geständnis eines 15-jährigen Islamisten.

Auch ein zweiter Nachfolgestaat des British Indian Empire hat sich, unbemerkt vom Rest der Welt, von demokratischen Grundsätzen verabschiedet: Bangladesch. Generäle übernahmen die Macht im Armenhaus. Vielen Menschen war das gar nicht so unrecht angesichts der chronischen Unfähigkeit der rivalisierenden Parteien.

Korruption und hoher Ölpreis

Bangladesch ist ein gutes Beispiel dafür, warum Demokratie vielerorts, von Kenia über Nigeria bis Usbekistan, an Glanz verloren hat. Wer schlecht, korrupt oder gar nicht regiert wird, wer nicht zu essen hat, seines Lebens nicht sicher sein kann, auf dessen Prioritätenliste steht das Recht, frei zu wählen, nicht zwangsläufig ganz oben. „Wenn die Freiheit kein Essen auf den Tisch bringt, begrüßen die Menschen die Tyrannei“, meint Peter Beinart, US-Politologe am „Council on Foreign Relations“.

In Russland geht es in eine ähnliche Richtung. Der Westen mag sich beklagen über Parlamentswahlen, die alles andere als lupenrein sind, über die Gleichschaltung von Medien und Knebelung von Kreml-Kritikern. Doch die Russen selbst sind offenbar ganz zufrieden damit, wie Präsident Wladimir Putin ihrem Land dank Erlösen aus Öl und Gas wieder neuen Stolz eingehaucht hat.

Dass ein Barrel Öl nun an die 100 Dollar und damit fünf Mal so viel kostet wie vor sechs Jahren, ist mit ein wesentlicher Grund, warum Autokraten ressourcenreicher Staaten wieder leichteres Spiel haben. Ob im Iran, in Saudiarabien, Venezuela oder Russland: Interne Kritiker können nun noch einfacher gekauft, externe noch einfacher ignoriert werden.

Wieder Windstille in Nahost

Kurz vor dem Irak-Krieg hatte US-Präsident George W. Bush im „American Enterprise Institute“ erklärt, er wolle einen „Leuchtturm der Freiheit“ im Nahen Osten errichten. Die Signalwirkung des irakischen Experiments ist heute eine andere. „Seht her, Demokratie bringt nur Chaos“, können arabische Diktatoren sagen. Kontraproduktiv wirkten auch die palästinensischen Wahlen, dessen Sieger, die islamistische Hamas, der Westen nie anerkannt hat.

Eine Weile war nach dem Irak-Krieg ein Freiheitslüftchen durch Nahost geweht, doch jetzt herrscht wieder Windstille. In Ägypten wird verhaftet und unterdrückt; der Libanon ist politisch blockiert; Syriens Diktatur repressiver denn je; in Saudiarabiens absoluter Monarchie ist es bei Kommunalwahlen geblieben. Und sollten sich die USA beschweren, hagelt es postwendend Gegenvorwürfe: Sperrt doch erst einmal Guantánamo zu, stoppt erst einmal eure Foltermethoden. Die USA sind kein strahlendes Vorbild mehr.

Modellcharakter haben plötzlich andere: die „bösen Buben“. Der Westen unterschätze die Attraktivität Russlands und Chinas für undemokratische Staaten, meint der slowakische Politologe Joszef Batora, der an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien arbeitet. Moskau und Peking verkörperten ein anderes Wertesystem, das nicht nach Menschenrechten frage.

EU in ihrem Bereich erfolgreich

China knüpft keine Bedingungen an seine milliardenschwere eigennützige Entwicklungshilfe in Afrika oder anderswo. Nie würde das aufstrebende China seine Verbündeten zu Demokratie drängen, wo es doch selbst keine Opposition duldet. Und so hielt Pekings KP-Führung vergangenen Herbst auch ihre schützende Hand über Burmas Militärmachthaber, als sie die Protestbewegung der Mönche brutal niederschlugen. Russland wiederum macht die Mauer für alliierte Autokraten in Zentralasien und in Weißrussland. Denn so weit reicht der Arm Europas noch nicht. Die EU, oft als machtloser Haufen verspottet, hat sich in den vergangenen Jahren als erfolgreichster Exporteur von Freiheit Demokratie – und Stabilität erwiesen. Ihr Erfolgsrezept, die Integration neuer Staaten, ist jedoch nicht grenzenlos einsetzbar.

So bleibt die Hoffnung, dass Hegels Weltgeist, den Fukuyama 1989 angerufen hat, ein demokratischer ist – und sich weiter durchsetzt. Denn langfristig betrachtet, hat der Triumph der Demokratie seit 1974, seit dem Sturz der Diktatur in Portugal, die Züge eines Megatrends. Doch Vorsicht: Die Demokratie ist in der jüngeren Vergangenheit schon einmal, nämlich in der Zwischenkriegszeit, dramatisch in die Defensive geraten. Es kann fahrlässig sein, der Geschichte ihren Lauf zu lassen.

Web-Links:

DEMOKRATIEWELLEN

Der US-Politologe Samuel P. Huntington spricht von einer dritten Welle der Demokratie, die 1974 mit dem Sturz der Diktatur in Portugal einsetzte. Damals gab es weltweit nur rund 40 Demokratien, heute sind es 121.

Lateinamerika wurde in der ersten Hälfte der 80er-Jahre von einer Demokratiewelle erfasst, Asien folgte mit Südkorea, Taiwan und den Philippinen in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts.

In Mittelosteuropa, bis dahin kommunistisch, gelang der Durchbruch 1989. In Afrika ging in den 90er-Jahren ein neuer Stern der Freiheit auf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.01.2008)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.