Afghanistan droht die Nato zu spalten

(c) AP (Farzana Wahidy)
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Scharfer Briefwechsel. Die USA und Kanada fordern vor allem Deutschland und Frankreich auf, sich militärisch endlich verstärkt in Afghanistan zu engagieren.

WASHINGTON/BERLIN/WIEN. Der Druck der nordamerikanischen Nato-Staaten USA und Kanada auf ihre europäischen Verbündeten, ihren Afghanistan-Einsatz endlich auszuweiten, wird immer stärker. Vor allem von Deutschland und Frankreich fordern Washington und Ottawa dabei ein größeres militärisches Engagement als bisher. Das Thema wird auch das Treffen der Nato-Verteidigungsminister kommende Woche im litauischen Vilnius beherrschen.

In einem Brief an seine Ministerkollegen in Berlin und Paris, der der „Süddeutschen Zeitung“ zugespielt wurde, hat US-Verteidigungsminister Robert Gates Klartext geschrieben: Er warnte vor einer Spaltung der Nato in jene Nationen, die sich in Afghanistan am Kampf gegen die Taliban und al-Qaida beteiligten, und solchen, die sich davor drücken würden.

Um die Probleme in den Griff zu kriegen, müssten die Nato-Verbündeten mehr Truppen und Ausrüstung zur Verfügung stellen. Von Deutschland verlangte Gates in dem Brief konkret, dass die Bundeswehr im Herbst jene 3200 US-Soldaten ablöst, die das Pentagon gerade als Verstärkung nach Südafghanistan verlegt, um die dort erwartete Taliban-Frühjahrsoffensive abzuwehren.

Der US-Verteidigungsminister soll seinen deutschen Kollegen Franz Josef Jung sogar bitten, das jetzige Bundestagsmandat für den Afghanistan-Einsatz abzuändern, das der Bundeswehr nur die Entsendung von maximal 3500 Soldaten in den weniger gefährlichen Norden Afghanistans erlaubt.

Ottawa droht mit Abzug

Laut „Süddeutscher“ ist der Brief an Jung „ungewöhnlich scharf“ formuliert, während Frankreichs Verteidigungsminister Hervé Morin von einem „ausgesprochen höflichen“ Schreiben an ihn berichtet. Tatsache ist, dass Gates zuletzt angesichts nicht eingehaltener Zusagen der Nato-Partner über Truppenverstärkungen in Afghanistan immer ungehaltener geworden ist.

Kanada hat diese Woche ultimativ mit seinem Rückzug aus der Nato-geführten Afghanistan-Schutztruppe ISAF gedroht, wenn andere Nato-Staaten nicht mehr Kräfte zur Verfügung stellen würden. Die Kanadier stehen mit 2500 Mann in der heftig umkämpften südlichen Provinz Kandahar; sie haben seit 2002 bereits 77 gefallene Soldaten zu beklagen. Laut Kanadas Premier Stephen Harper sind in Südafghanistan mehr Truppen, mehr Transporthubschrauber und mehr Aufklärungsdrohnen nötig. Wenn die Nato das nicht zusammenbringe, „wird Kanada im Frühjahr 2009 sein Kontingent abziehen“.

In Berlin hat der geharnischte Brief aus dem Pentagon am Freitag gehörigen Staub aufgewirbelt. Hinter den Kulissen ist von „Unverschämtheit“ die Rede. Seit langem drängen die USA die Bundeswehr dazu, auch in Südafghanistan eine militärische Rolle zu übernehmen. So beharrlich die USA ihre Bitte vortrugen, so reflexartig erteilte die deutsche Regierung den Bittstellern eine diplomatisch verbrämte Absage. Kanzlerin Angela Merkel, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Verteidigungsminister Franz Josef Jung mussten sich auch diesmal nicht lange für ihr Nein abstimmen. Ein entsprechender Antwortbrief ist bereits auf dem Weg.

Berliner Nein zu Ausweitung

Eine Ausweitung des Mandats widerspricht der Regierungsdoktrin. Unter Nato-Schirmherrschaft führt die Bundeswehr im Norden Afghanistans das Kommando über die ISAF-Truppen. Mehr als 3000 Soldaten sind rund um das deutsche Hauptquartier in Kunduz stationiert. Sie sind auf strikte Selbstverteidigung eingeschworen. In Hannover stehen derzeit überdies 250 Fallschirmjäger und Panzergrenadiere Gewehr bei Fuß. Sie sollen demnächst eine norwegische Einheit als Schnelle Eingreiftruppe ablösen.

Innerhalb der SPD schwindet die Unterstützung für eine Mission, für die der frühere SPD-Verteidigungsminister Peter Struck die Formel „Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt“ geprägt hatte. Auch in der Bevölkerung bröckelt die Zustimmung, und die Linkspartei lehnt den Afghanistan-Einsatz ohnedies kategorisch ab.

In internen Militärberichten wird zudem Kritik an der mangelhaften Ausstattung der Soldaten laut. So fehlt es an technischem Gerät wie Störsendern, gepanzerten Fahrzeugen oder Spezialhubschraubern. Verteidigungsminister Jung spricht denn auch am liebsten von „Schützen, Vermitteln, Helfen“ aber kaum je vom „Kämpfen“. Stabilisierung und Aufbauhilfe lautet stattdessen die offizielle Sprachregelung.

AUF EINEN BLICK

ISAF. Die Internationale Afghanistan-Schutztruppe („International Security Assistance Force“) wird von der Nato geführt. Im vergangenen Oktober beteiligten sich 37 Nato- und Nicht-Nato-Staaten an dieser Mission und stellten über 41.000 Soldaten für den Einsatz ab.

Die USA sind mit 14.000 Soldaten der größte Truppensteller für die ISAF; sie haben zusätzlich 13.000 Soldaten für die Anti-Terror-Operation „Enduring Freedom“ im Einsatz.

Die Bundeswehr beteiligt sich mit über 3O00 Soldaten bei ISAF.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.02.2008)

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