Massive Kritik an Pekings „Tibet-Entwicklung“

Nicht-Regierungsorganisationen warnen vor den negativen Folgen der neuen Eisenbahn nach Lhasa.

WIEN.Je näher der Beginn der Olympischen Spiele in Peking rückt, desto mehr häufen sich die Berichte von Nichtregierungsorganisationen über die Verletzung von Menschen- und Minderheitenrechten in der Volksrepublik. Besonders aktiv sind derzeit Gruppen, die sich für Tibet einsetzen und die vor der systematischen Marginalisierung der tibetischen Kultur und der wachsenden Entfremdung der Tibeter durch die chinesische Entwicklungspolitik warnen. Peking weist all diese Vorhaltungen wütend zurück. Im einzelnen behaupten die NGOs:

•Die in London ansässige Gruppe „Tibet Watch“ wirft den chinesischen Behörden vor, die Religion in Tibet immer massiver zu unterdrücken. Auf Mönche und Nonnen werde Druck ausgeübt, den Dalai Lama zu denunzieren. Neue Polizeiposten würden in der Nähe oder sogar in buddhistischen Klöstern gebaut, um das dortige Geschehen besser kontrollieren zu können. Peking dementiert.

•„Human Right Watch“ kritisiert die von Peking forcierte Politik, tibetische Nomaden anzusiedeln. Deren Herden würden geschlachtet, die Nomadenfamilien oft in schlechte Wohnanlagen gepfercht. Da die meisten Nomaden nur schlecht oder gar nicht ausgebildet seien, fänden sie oft keine Arbeit. Peking dagegen behauptet, durch die Ansiedlungspolitik werde die Umwelt geschützt und die Lebensbedingungen der früheren Nomaden verbessert.

•„Free Tibet Campaign“ wirft den chinesischen Behörden vor, den Gebrauch der tibetischen Sprache im Alltag zu unterminieren. Tibetische Schulkinder würden zunehmend dazu gezwungen, Mandarin statt ihre Muttersprache zu erlernen. Die Behörden kontern, in der Autonomen Region gebe es eine bilinguale Spracherziehung, Tibetisch werde sogar bevorzugt.

•Die „International Campaign für Tibet“ veröffentlichte vergangene Woche einen fast 260 Seiten starken Report, in dem vor den negativen Konsequenzen gewarnt wird, die die seit Juli 2006 zwischen Peking und Lhasa verkehrende Eisenbahn mit sich bringe.

Durch die „Qinghai-Tibet-Bahn“ habe die Zahl der chinesischen Arbeitsmigranten in Tibet massiv zugenommen, was die Bevölkerungszusammensetzung weiter zu Gunsten der Han-Chinesen verändere. Die Vorkommen an Bodenschätzen (Eisenerz, Kupfer, Blei, Zink) in Tibet könnten jetzt verstärkt ausgebeutet werden, weil die neue Bahn den kostengünstigeren Transport erlaube. Die höchste Eisenbahn der Welt diene auch militärischen Zwecken.

Der rasant wachsende Tourismus (über vier Millionen Besucher im vergangenen Jahr), die forcierten Eingriffe in die Natur, die zunehmende Urbanisierung und Industrialisierung hätten natürlich Auswirkungen auf das hoch sensible Öko-System des Hochlands – mit Konsequenzen für ganz Asien. Denn Tibet ist Quellland einiger der größten Flüsse des Kontinents.

Peking bestreitet all dies entschieden. Die neue Eisenbahn leiste einen „sehr positiven Beitrag bei der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung Tibets“. Im Übrigen habe erst die kommunistische Herrschaft Wohlstand in das unterentwickelte Hochland gebracht und die jahrhundertelange Leibeigenschaft in Tibet beendet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.03.2008)

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