Zündeln im Pulverfass Südkaukasus

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Die beiden Erzfeinde Armenien und Aserbaidschan liefern sich wieder erbitterte Kämpfe um die umstrittene Exklave Berg-Karabach.

BAKU/JEREWAN (Reuters, b.b.).Im eurasischen Pulverfass Südkaukasus wird schon wieder kräftig mit offenem Feuer hantiert: Armenische und aserbaidschanische Militäreinheiten lieferten sich in der Nacht zum Mittwoch heftige Gefechte rund um die abtrünnige Region Berg-Karabach, bei denen es zahlreiche Tote und Verwundete gab. Berg-Karabach ist eine mehrheitlich von Armeniern bewohnte Exklave in Aserbaidschan. Beide Seiten beschuldigen sich gegenseitig, für den Ausbruch der Kämpfe verantwortlich zu sein.

Die aserbaidschanische Version: Einem Sprecher des Verteidigungsministeriums in Baku zufolge wurden bei den Gefechten seit Dienstag vier aserbaischanische und zwölf armenische Soldaten getötet. „Die armenische Seite hat gezielte Provokationen an den Frontlinien angezettelt, um damit die internationale Gemeinschaft und die eigene Bevölkerung von den internen Spannungen abzulenken und die Aufmerksamkeit auf einen äußeren Feind umzuleiten“, erklärte ein Sprecher des aserbaidschanischen Außenministeriums. Er spielte damit auf den „Blutigen Sonntag“ von Jerewan an. Der brutale Einsatz von Sicherheitskräften gegen Demonstranten, die gegen den Ausgang der armenischen Präsidentenwahl von Mitte Februar protestiert hatten, forderte am Wochenende acht Todesopfer und viele Verletzte. Über Jerewan wurde ein 20-tägiger Ausnahmezustand verhängt.

Die armenische Version: Die Regierung in Jerewan macht den aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew für die jüngste Eskalation in dem seit 1988 andauernden Konflikt um Berg-Karabach verantwortlich. Alijew hat zuletzt die reichlich sprudelnden Einnahmen aus dem Ölexport auch dazu verwendet, um den eigenen Streitkräften neue Waffen zu kaufen.

Bei einer Visite in West-Aserbaidschan diktierte Alijew Anfang der Woche den mitreisenden Reportern, die diplomatischen Anstrengungen, um den Karabach-Konflikt zu lösen, reichten nicht mehr aus. „Deshalb müssen wir stark und auch bereit sein, unser Territorium mit militärischen Mitteln zu befreien. Und wir sind bereit.“

Alarmglocken schrillen

Der armenische Außenminister Vartan Oskanian warf Baku vor, die derzeitige innere Schwäche seines Landes ausnützen zu wollen: „Wahrscheinlich dachten die Aserbaidschaner, dass wir zu sehr mit inneren Problemen befasst sind und dass sie daraus psychologische Vorteile ziehen könnten. Aber sie haben sich getäuscht.“

Der armenisch-aserbaidschanische Streit um Berg-Karabach gehört zu den sogenannten „eingefrorenen Konflikten“, bei denen trotz jahrelanger internationaler Vermittlungsbemühungen keinerlei Fortschritte erzielt werden konnten: Zu stur und unversöhnlich stehen sich die christlichen Armenier und die muslimischen Aserbaidschaner gegenüber.

Anfang der Neunzigerjahre führten die beiden Krieg um die armenische Exklave, wobei sich die Aserbaidschaner eine blutige Nase holten. Mehr als 35.000 Menschen starben in dem Konflikt, über eine Million wurden vertrieben. Zwar gilt seit 1994 ein Waffenstillstand, doch wirklich beruhigt hat sich die Lage um Berg-Karabach nie. Laut US-Außenamt sterben bei Waffenstillstands-Verletzungen jedes Jahr zwischen 30 und 40 Menschen. Die Gefechte von Dienstag nacht gingen aber weit über zuletzt übliche „Zwischenfälle“ hinaus, was international die Alarmglocken schrillen lässt. Die USA, Frankreich, Nato und OSZE versuchen in Baku und Jerewan deshalb hinter den Kulissen, den Wiederausbruch eines offenen Krieges zu verhindern.

AUF EINEN BLICK

Berg-Karabach ist eine von Armeniern bewohnte Exklave in Aserbaidschan. 1988 wollte sie sich Armenien anschließen: Pogrome und ein inner- ebenso wie zwischenstaatlicher Konflikt mit über 35.000 Toten und einer Million Vertriebener war die Folge. 1994 beendete ein Waffenstillstand die schweren Kämpfe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.03.2008)

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