Tibet-Krise: Chinesische Polizei schießt auf Demonstranten

(c) AP (Greg Baker)
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Auch Chinas Medien können nun nicht mehr die Ausweitung der Proteste leugnen. Journalisten aus Lhasa vertrieben.

Peking. Lhasa ist eine belagerte Stadt. Lastwagenkonvois der bewaffneten Militärpolizei rollten gestern, Donnerstag, durch die Straßen. Auch in den angrenzenden Provinzen mit tibetischen Gemeinden und Klöstern zogen Uniformierte von Ort zu Ort, blockierten Straßen, kontrollierten Dokumente und sorgten dafür, dass Journalisten draußen und Tibeter drinnen blieben. Die letzten Korrespondenten – Kristin Kupfer von „profil“ und Georg Blume von „Die Zeit“ – wurden ebenfalls aus ihrem Hotel geholt und in den Zug nach Peking gesetzt.

Soviel ist offenkundig: Die Welt soll nicht wissen, mit welchen Mitteln die chinesische Regierung und ihre Truppen die Lage wieder in den Griff bekommen wollen. Eine Region, die viermal so groß wie Frankreich ist, wird abgeriegelt. Etwa vierzig Reporter aus allen Teilen der Welt wurden auf dem Weg Richtung Tibet zeitweise festgenommen und gezwungen, umzukehren. Alle Touristenreisen wurden vorerst bis Mai gestoppt.

Zum ersten Mal bestätigen Chinas Medien, was Exiltibeter schon seit Tagen berichteten: Auch in den Nachbarprovinzen Qinghai und Gansu im Norden und Sichuan im Osten haben Mönche demonstriert. Gruppen junger Tibeter hatten in einigen Fällen Regierungsgebäude, chinesische Geschäfte, Funktionäre und Polizisten angegriffen. Sie holten die chinesische Fahne vom Mast und zogen eine tibetische Flagge auf. Die chinesische Polizei eröffnete das Feuer und verletzte vier Personen.

„Alle Hinweise deuten daraufhin, dass die Zerstörungen von Separatisten in China und im Ausland organisiert und angefacht wurden“, zitierte die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua den Chef der Präfektur Gannan, Mao Shengwu. Damit bekräftigte er die Darstellung der Pekinger Regierung, die den Dalai Lama und seine Anhänger für die Unruhen verantwortlich macht. Als „Wolf in der Mönchsrobe, Ungeheuer mit menschlichem Antlitz und dem Herz einer Bestie“ bezeichnete Tibets KP-Chef Zhang Qingli den Friedensnobelpreisträger.

Besorgte Olympia-Sponsoren

In Lhasa, wo die zunächst friedlichen Demonstrationen am Freitag in Gewalt umgeschlagen waren, seien „13 unschuldige Zivilisten“ erstochen oder verbrannt und rund 325 Personen verletzt worden, heißt es weiter. Unter den verbrannten Opfern seien fünf Mädchen gewesen, die in einem Kleidergeschäft gearbeitet hatten.

170 Aufrührer hätten sich bis Mittwochabend der Polizei gestellt, meldete Xinhua. 24 Personen seien bereits wegen Gefährdung der Staatssicherheit und anderer schwerer Verbrechen festgenommen worden, berichtete die Tibet-Zeitung. Exiltibeter sprechen von etwa 80 Toten seit der vergangenen Woche. Die materiellen Schäden in der tibetischen Hauptstadt bezifferte Xinhua mit ca. 18 Millionen Euro.

Die britische Journalistin Jane Macartney erfuhr in Peking von tibetischen Studenten, dass sie nun im Unterricht Fragen beantworten mussten wie: „Welchen Platz hat der Dalai Lama in deinem Herzen?“ Zudem mussten sie versprechen, dass sie sich an keinen politischen Aktivitäten beteiligen würden. Anfang der Woche hatten einige Dutzend Studenten der Nationalitätenhochschule es gewagt, sich mit Kerzen zu einer Mahnwache zu versammeln.

In der eigenen Bevölkerung finden die Aktionen der Regierung viel Rückhalt. Kaum ein Gesprächspartner in Peking zweifelt daran, dass es richtig ist, jetzt hart in Tibet durchzugreifen.

Die internationale Debatte alarmiert die Olympia-Sponsoren: Unternehmen wie Volkswagen, Coca-Cola und adidas, die für die Spiele im August viel Geld investiert haben, fürchten nun Schäden für ihr Image. „Wir können nicht zurückziehen, das würden uns die Chinesen nie verzeihen“, beschreibt der PR-Berater einer großen europäischen Firma sein Dilemma. „Aber wir können auch nicht riskieren, dass jemand im Ausland zum Boykott unserer Produkte aufruft. Das ist alles sehr unangenehm.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.03.2008)

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