Ägypten: Im Dorf der zum Tode Verurteilten

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Rund 700 mutmaßlichen Muslimbrüdern droht die Todesstrafe. Angehörige erzählen schockierende Geschichten von Verfahren, die jeglicher Rechtsstaatlichkeit spotten.

Minya/Kairo. Qum Basal ist ein Dorf, wie tausend andere im südlichen Oberägypten. Staubige, nicht asphaltierte Straßen, Hütten, in denen die Armut zu Hause ist, und auf den Feldern verrichten immer noch Tiere statt Traktoren die schweren Arbeiten. Aber der kleine Ort birgt eine Besonderheit: Von jenen 700 Menschen, die in den vergangenen Monaten von einem ägyptischen Richter zum Tode verurteilt wurden, stammen zehn von hier. Das Gericht in der Provinzhauptstadt Minya, das die Urteile ausgesprochen hat, die international in den vergangenen Wochen eine Schockwelle ausgelöst haben, liegt nur eine halbe Autostunde entfernt. Der Grund der Verurteilung, die Polizeistation, die vergangenen Sommer von einem Mob angegriffen wurde und in dessen Folge ein Polizeioffizier gestorben ist, ist auf halbem Weg zu finden.

Es dauert eine Weile, bis der Bauer Ahmad Hassan in sein Haus bittet. Im Dorf herrscht Angst vor weiteren Repressalien. „Sie kamen um Mitternacht, brachen die Tür ein und nahmen meinen Vater und Bruder mit“, erzählt er. „Wir konnte es kaum fassen, als die beiden zum Tode verurteilt wurden.“ Dass dieses Urteil inzwischen in lebenslänglich umgewandelt wurde, tröstet Ahmad wenig. Denn das halbe Dorf kann bezeugen, dass die zwei Verurteilten an dem Tag, an dem die Polizeiwache angegriffen wurde, auf ihrem Feld in unmittelbarer Nachbarschaft des Dorfes gearbeitet haben.

Aber Zeugen wurden in dem Prozess nie befragt. Kein einziges Mal kam jemand von den Untersuchungsbehörden hier im Dorf vorbei, erzählt Hassan. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Namensverwechslung. „Mein Bruder heißt Abdallah Muhammad Hassan Schulqami, der Name des von der Staatsanwaltschaft Gesuchten ist Abdallah Muhammad Hassan Gumaa. Also ein ganz anderer Familienname“, fasst er zusammen, „aber das interessiert niemanden.“

In der Kreisstadt Matai liegt das Büro des Anwalts Mustafa Hafez, der beauftragt gewesen ist, einige der Angeklagten zu verteidigen. „Zweifellos sollen die Schuldigen bestraft werden. Aber dieser Prozess hat gerade einmal eine Stunde und 15 Minuten gedauert, es gab keine vernünftige Beweisaufnahme oder Zeugenbefragung“, schildert er das Verfahren. „Wir Anwälte hatten keine Chance, unser Mandanten zu verteidigen.“

Anwalt als Angeklagter

Für Ahmad Eid, einen der Verteidiger, der 50 der Angeklagten vertreten hatte, wurde das Verfahren zum persönlichen Albtraum. Er fand sich nach vier Monaten Untersuchung plötzlich selbst auf der Anklageliste und wurde zum Tode verurteilt. Dass dieses Urteil inzwischen in lebenslänglich umgewandelt wurde, beruhigt seine Frau Maha Hussein wenig. „Sie kamen am 22.Jänner, als mein Mann auf Reisen war, in unser Haus, fragten nach ihm und nahmen einen Computer der Kinder mit“, erzählt sie.

Zwei Tage darauf wurde ihr Mann bei der Staatsanwaltschaft vorstellig, worauf er in Haft genommen wurde. „Sie wollten Ahmad ausschalten, weil er in dem Fall ein sehr engagierter Anwalt war“, glaubt sie. Dass er etwas mit der Muslimbruderschaft zu tun habe, sei absolut lächerlich. „Er arbeitet in einer Kanzlei, die einem christlichen Kollegen gehört. Würde er ihn dann anstellen?“, fragt sie.

Im Büro des Anwalts Mustafa Hafez sitzt Osman Ali. Er zeigt uns die Geburtsurkunde und ein Foto seines zum Tode verurteilten Neffen. Er war zur Zeit seiner vermeintlichen Tat gerade einmal 17Jahre alt und fällt damit unter das Jugendstrafrecht, in dem es keine Todesstrafe gibt. Ein Detail, das offensichtlich weder der Staatsanwaltschaft noch dem Richter aufgefallen ist. Der einzige Beweis sei ein Handyvideo, in dem sein Neffe vor der angegriffenen Polizeiwache einen Schuh in der Hand schwingt, erzählt Osman dem Anwalt und imitiert das Ganze mit einer schwingenden Geste.

Ob nun er oder der junge Bauer, dessen Vater und Bruder verurteilt wurden, obwohl sie nachweislich nicht am Tatort waren, oder die Frau des verteilten Anwalts Ahmad Eid – sie alle hoffen nun darauf, dass im Berufungsverfahren endlich ein rechtsstaatliches Verfahren zustandekommt.

Eigenen Weltrekord brechen

Derweil dürfte der Richter Said Yussuf, der bisher über 700 Menschen in zwei Schnellverfahren zu Tode verurteilt hat, bald wieder für neuen Gesprächsstoff sorgen. Als einziger Richter ist er in drei Provinzen in Südägypten allen Verfahren zugeteilt, in denen „Fälle des Terrorismus“ verhandelt werden.

Derzeit stellt die Staatsanwaltschaft bis zu 5000 weitere Fälle zusammen, schätzt Anwalt Hafez. Da hat Richter Gnadenlos noch viele Gelegenheiten, für Nachschub an bizarren Todesurteilen zu sorgen und seinen eigenen Weltrekord zu brechen: als der Richter, der innerhalb kürzester Zeit die meisten Menschen an den Galgen schickt.

AUF EINEN BLICK

Urteil. Rund 700 Menschen wurden von einem ägyptischen Gericht aufgrund ihrer Mitgliedschaft bei den Muslimbrüdern zu Tode verurteilt. Angehörige sagen, dass nicht alle der Verurteilten Mitglieder sind. Zudem seien viele Anschuldigungen herbeikonstruiert. Die meisten Urteile wurden inzwischen in lebenslänglich umgewandelt. Der Präsidentschaftskandidat Abdel Fatah al-Sisi zeigt sich unversöhnlich mit den Muslimbrüdern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.05.2014)

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