Ägypten: Gewerkschafts-David gegen Armee-Goliath

Sabahi. Ägypten
Sabahi. Ägypten(c) REUTERS (MOHAMED ABD EL GHANY)
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Nur der Linkspolitiker Hamdeen Sabahi fordert bei der Präsidentenwahl nächste Woche den übermächtigen Feldmarschall Abdel Fattah al-Sisi heraus. Das merkt man kaum, denn im öffentlichen Raum wird Sabahi kaum Platz gewährt.

Einen Augenblick noch will er durchatmen in dem kleinen Zimmer hinter der Bühne. Dann zieht er die Krawatte wieder fest, schnürt sich seine schwarzen Schuhe und wirft das Sakko über.

„Sabahi wird unser nächster Präsident“ und „Wir wollen keinen Führer aus dem Militär“ tönen derweil durch die Wände Sprechchöre aus dem vollen Auditorium des Siesta-Hotels in Alexandria. Drei Stunden schon warten rund 2000 Anhänger in brütender Hitze und dicker Luft auf ihren Kandidaten, den sie mit minutenlangem Jubelsturm begrüßen.

„Ich schwöre bei Gott, Mubaraks Clique wird nie wieder an die Macht kommen“, ruft Hamdeen Sabahi der Menge zu und verspricht, er werde nach seiner Wahl alle politischen Gefangenen freilassen und das Demonstrationsgesetz wieder abschaffen, das tausende Ägypter ins Gefängnis gebracht hat – Muslimbrüder und Demokratie-Aktivisten gleichermaßen. „Ich werde keinen hinter Gitter bringen bloß wegen seiner politischen Ansichten“, deklamiert der Ex-Gewerkschafter und warnt, das Volk werde wie Langzeitherrscher Hosni Mubarak 2011 und dessen vorübergehendem islamistischen Nachfolger Mohammed Mursi 2013 jedem neuen Präsidenten die gleiche Lektion erteilen, wenn er die Forderungen der Revolution nach „Brot, Freiheit und sozialer Gerechtigkeit“ missachte. „Man muss kein General zu sein, um zu siegen“, ruft die Menge, in der auffallend viele junge Gesichter sind.

Schon 20 Prozent wären viel

Doch danach sieht es nicht aus, denn die ägyptische Präsidentenwahl gleicht einem Kampf von David gegen Goliath. Sabahi ist der einsame Herausforderer von Ex-Feldmarschall Abdel Fattah al-Sissi, der als haushoher Favorit gilt. Für Sabahi wäre kommende Woche schon ein Ergebnis um die 20 Prozent ein Erfolg. Bei der ersten Post-Mubarak-Präsidentenwahl im Mai 2012 konnte der 59-jährige Linkspolitiker vor allem in der Schlussphase punkten und landete mit 4,8 Millionen Stimmen überraschend auf dem dritten Platz.

Jetzt tourt er wieder kreuz und quer durchs Land, während sich sein Kontrahent von der Armee nicht vor die Tür traut und lieber in plüschenen Konferenzsälen von Fünfsternehotels erlesenen Gästen die Hände schüttelt. Ein Wahlprogramm hat al-Sisi gar nicht erst vorgelegt, „um seine Anhänger nicht zu spalten“, wie es heißt. Ein TV-Duell mit Sabahi lehnt er auch ab. Stattdessen hat der Ex-Armeechef, der vor einem Jahr Mohammed Mursi absetzte, die größte PR-Firma des Landes und die Finanzelite hinter sich, die ihn zum neuen Erlöser Ägyptens hochjubeln.

Bescheidenes Hauptquartier

In Kairo und Alexandria hängen al-Sisi-Großposter inzwischen auf allen Straßen und Plätzen, während Sabahi praktisch unsichtbar bleibt. Magere 10.000 Euro stehen seinem Wahlkampfmanager Madiha Zaki zur Verfügung, während al-Sisi nach Angaben seiner Entourage bereits das 120-Fache für TV-Spots und Straßenwerbung ausgegeben hat. Sabahis Hauptquartier sind ein paar abgewetzte Büroräume in einem neunstöckigen Wohnhaus im Kairoer Stadtteil Mohandessin. In einer Ecke liegen bis zur Decke gestapelte Kleinplakate, gegenüber ist eine improvisierte Teeküche, im Raum verteilt ein paar Plastikstühle plus ein klappriger Schreibtisch für die Laptops seiner jungen Helfer, die alle ehrenamtlich mitmachen.

„Einer von uns“, lautet Sabahis Wahlkampfmotto. Und so legt er in Alexandria seinen zweiten Auftritt mitten im Armenviertel Wadi al-Qamar hin, wo sich gewöhnlich kein Politiker hintraut. Gespenstisch ragt das stählerne Ungetüm der Titan-Alex-Portland-Zementfabrik zwischen den ärmlichen Häusern in den Himmel. Scharen von Kindern toben durch die Gassen. Bananen, Tomaten und Pfirsiche der Händler sind von hellem Staub überzogen. In vielen verhärmten Gesichtern hier steht die pure Verzweiflung. „Die Fabrik bringt uns alle um“, klagt ein jüngerer Mann, während er vor der örtlichen Moschee Sabahis Ankunft beobachtet. Seit sechs Jahren hat er schweres Asthma und ihm fallen die Haare aus.

„Er weiß, was Armut ist“

Sayyed Abdel Aden indes hat seine Laute mitgebracht, um seinem  Favoriten ein selbst komponiertes Loblied zu singen, was jedoch im Geschrei der Menge untergeht. Sechs Kinder hat der 52-Jährige und schlägt sich als Kellner in einem kleinen Teehaus durch. „Sabahi weiß, was Armut ist, er kennt unser Leben. Sein Vater war ein einfacher Bauer“, sagt er. al-Sisi zu wählen, kommt für ihn nicht infrage. „Sisi ist wie Mubarak“, ist er sich sicher. „Dreißig Jahre lang hat sich Mubarak nicht um uns Arme gekümmert. Und auch Sisi schert sich wieder nur um die Reichen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.05.2014)

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