Wahltag in der Ostukraine: Stimmabgabe unter den Augen von Bewaffneten

Wahltag in der Ostukraine: Stimmabgabe unter den Augen von Bewaffneten
Wahltag in der Ostukraine: Stimmabgabe unter den Augen von BewaffnetenAPA/EPA (JAKUB KAMINSKI)
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Lokalaugenschein. Nur in einem Bruchteil der Wahllokale im Gebiet Donezk und Lugansk konnten Bürger ihre Stimme abgeben. DiePresse.com war hat sich in der Stadt Krasnoarmejsk umgesehen.

Walentina Nikolaewna hat um neun Uhr morgens ihre Stimme abgegeben. Den Arm bei einer Freundin untergehängt, geht die 79-Jährige mit kleinen Schritten aus dem Wahllokal im Kulturhaus von Krasnoarmejsk. „Natürlich gehen wir wählen", erklären die beiden älteren Damen, die sich für den Wahltag in Schale geworfen haben. „Wir waren noch bei jeder Wahl wählen. Das ist doch unsere Pflicht."

Doch der Wähleransturm bei der Wahl des neuen Präsidenten hält sich am Sonntag in Grenzen in der 70.000 Einwohner zählenden Stadt im Gebiet Donezk. Nach einer Stunde - die Wahllokale haben seit acht Uhr morgens geöffnet - haben gerade mal 30 Menschen ihre Stimme in den gläsernen Urnen im Kulturhaus abgegeben. 1000 Wähler sind hier registriert. „In der Früh kommen vor allem ältere Menschen", sagt der Wahlleiter Ruslan Towschik. „Später dann Familien." Towschik ist froh, dass die Präsidentschaftswahlen hier überhaupt stattfinden können. Einige seiner Helfer hätten abgesagt, erzählt er. „Das ist verständlich, sie haben Angst vor Zwischenfällen."

Auch in einem anderen Wahllokal ein paar Schritte weiter sind noch viele Namen auf den Listen nicht abgestrichen. „Normalerweise kommen mehr", sagt die Vorsitzende der Kommission. „Die Menschen haben Angst." Es sei doch nicht normal, dass eine Wahl von bewaffneten Männern geschützt werden müsse.

Krasnoarmejsk liegt im Gebiet Donezk, 70 Kilometer westlich der Gebietshauptstadt. Die separatistische Führung, die in Donezk seit einigen Wochen das Sagen hat, hat dort die Wahlen untersagt. Doch das Gebiet mit seinen 3,8 Millionen Wahlberechtigten ist umkämpft, und die prorussischen Aktivisten haben nicht überall die Macht. Schießereien stehen an der Tagesordnung, in den Dörfern werden die Fahnen der Separatisten gehisst und von ihren Gegnern wieder abgenommen, und Checkpoints an den Straßen stecken das Hoheitsgebiet der vermummten Kämpfer ab.

Vor Krasnoarmejsk steht die ukrainische Armee mit mehreren Panzern. Zudem liegt Krasnoarmejsk nahe an der Grenze zum Gebiet Dnjepropetrowsk, und von dort wurde Unterstützung geschickt: Die Bezirkswahlkommission wird von den Bewaffneten des proukrainischen Bataillon Dnjepr bewacht, welches der Dnjepropetrowsker Gouverneur Igor Kolomojskij aufgebaut hat. Vier Jeeps sind vor dem Gebäude im Halbkreis geparkt, dazwischen stehen fünf Bewaffnete und stieren in die Umgebung, das Gewehr in der Hand. Auch im Gebäude sind Wachposten verteilt. Anders wäre die Wahl hier nicht möglich, sagt ein Mitglied der Kommission.

Menschenleere in Donezk

Während in der Hauptstadt Kiew die Wähler scharenweise zu den Urnen liefen, ist im Großteil der ostukrainischen Gebiete Donezk und Lugansk die Stimmabgabe für die knapp fünf Millionen Wähler nicht möglich. Von den zwölf Bezirkswahlkommissionen im Gebiet Lugansk - sie überprüfen die lokalen Wahlprotokolle und leiten sie nach Kiew weiter - haben nur zwei von zwölf geöffnet. Von den 22 Bezirkswahlkommissionen im Gebiet Donezk sind heute nur sieben aktiv. Im Gebiet Donezk ist die Stimmabgabe in nur 308 von insgesamt 2430 Wahlbüros möglich, informiert die Zentrale Wahlkommission.

In der Stadt Donezk blieben am Sonntag alle Wahllokale geschlossen, auf den Straßen waren kaum Menschen zu sehen. Diejenigen, die ihre Stimme abgeben wollten, standen vor verriegelten Türen. Die separatistische Führung, die sich tags zuvor mit der „Volksrepublik Lugansk" zur „Volksrepublik Neurussland" vereinigt hatte, agitierte mittags auf dem zentralen Lenin-Platz vor knapp 2000 Anhängern gegen die ihrer Meinung nach illegitimen Wahlen. Separatistenführer Denis Puschilin kündigte an, „weitere Regionen" befreien zu wollen.

Sechs Mannschaftswägen mit Bewaffneten fuhren vor, die vermummten Männer feuerten Gewehrssalven in die Luft. Unter dem Jubel der Menge - „Danke", „Helden" - zogen sie nach der Machtdemonstration wieder ab. Danach marschierten mehrere hundert Demonstranten zur Residenz des Oligarchen Rinat Achmetow, die am Rande von Donezk liegt, um dort gegen den Einfluss des Unternehmers zu protestieren. Die Separatisten schlagen eine immer schärfere Tonart gegen die Oligarchen an, und insbesondere gegen Achmetow, den reichsten Mann der Ukraine, der zuletzt eindeutig gegen die prorussischen Aktivisten Stellung bezogen hatte. Am Sonntagnachmittag harrten die Demonstranten weiter vor Achmetows Residenz aus.

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