„Mitglieder einer großen Nation“: Erdoğan und die Auslandstürken

Turkish Prime Minister Erdogan throws flowers to his supporters during his visit in Cologne
Turkish Prime Minister Erdogan throws flowers to his supporters during his visit in Cologne(c) REUTERS
  • Drucken

Egal, ob türkischer Pass oder im Ausland geboren, die Türkei zählt türkische Emigranten zu „ihren“ Bürgern.

Istanbul. Obwohl die Türkei kein Mitglied der Europäischen Union ist, zählte auch Recep Tayyip Erdoğan zu den Gewinnern der Europawahl in Österreich: Mehrere hundert türkischstämmige Wähler schrieben nach Aufruf einer Gruppe namens „Junge Türken in Wien“ bei der Stimmabgabe am Sonntag den Namen des türkischen Ministerpräsidenten auf ihre Wahlzettel. Zwar wurden ihre Stimmen damit ungültig, doch den Organisatoren der Kampagne war es das wert. Die Aktion sei ein demokratischer Protest gegen die Anfeindungen, denen der türkische Premier ausgesetzt sei, sagte Mitorganisatorin Ebru Çakaloğlu der Nachrichtenagentur Anadolu.

„Es gibt tausende türkischstämmige Wähler, die sich in Österreich nicht vertreten fühlen“, so Çakaloğlu weiter. Von Erdoğan in der Türkei fühlen sie sich offenbar eher repräsentiert: Die in Niederösterreich lebende Emine Celepci, die sich an der Erdoğan-Stimmzettel-Aktion beteiligt hatte, sagte zu Anadolu, sie habe zeigen wollen, dass sie hinter Erdoğan stehe. Keine österreichische Partei habe bei der Europawahl einen türkischstämmigen Kandidaten ins Rennen geschickt, obwohl es im Land knapp 300.000 Wähler mit türkischen Wurzeln gebe.

Am Tag vor der Europawahl hatte Erdoğan in Köln vor mehr als zehntausend Anhängern gesprochen und dabei das besondere Verhältnis der Türkei zu ihren rund fünf Millionen Bürgern im Ausland bekräftigt. Die Auslandsbürger gelten aus der Sicht Ankaras weiter als Türken, auch wenn sie längst den Pass des Landes besitzen, in dem sie teilweise seit Jahrzehnten wohnen. So wie westeuropäische Länder, die seit den frühen 1960er-Jahren zugewanderte Türken lange als „Gastarbeiter“ sahen, die irgendwann sicherlich wieder in die Heimat zurückkehren würden.

Einmal Türke, immer Türke

Bei seinem Besuch in Köln nannte Erdoğan sein türkisches Publikum daher, die „Mitglieder einer großen Nation“ und „Enkel von Vorfahren mit einer großen Geschichte“. Die Türken im Ausland sollten ihre „Häupter nicht beugen“ und sich nie allein fühlen – denn die Türkei stehe ihnen bei. Die Belange der Auslandstürken gehören in der türkischen Regierung übrigens in den Aufgabenbereich des Vizepremiers.

Für Erdoğan – ebenso wie für die türkischen Ministerpräsidenten vor ihm – besteht kein Widerspruch zwischen dieser Beschwörung der Zusammengehörigkeit und dem Appell an die Auslandstürken, sich so gut wie möglich in ihren neuen Heimatländern zu integrieren. Eine erfolgreiche Integration wirft auch ein gutes Licht auf die Türkei und schafft viele Botschafter für das Land in der Fremde, lautet der Gedanke dahinter.

In Köln rief Erdoğan die deutschen Auslandstürken daher auf, sie sollten in der Bundesrepublik „keine Fremden“ bleiben und möglichst gut Deutsch lernen. Er lobte den Beitrag der Deutschtürken zur deutschen Wirtschaft und würdigte die Tatsache, dass in Deutschland jetzt auch „eine türkische Ministerin dient“. Damit meinte Erdoğan die Politikerin Aydan Özoguz, türkischstämmige Integrationsbeauftragte im Kabinett von Kanzlerin Angela Merkel.

Stimmenfang für die eigene Wahl

Özoguz ist vom Pass her natürlich keine türkische, sondern deutsche Staatsbürgerin, aber für Erdoğan und den türkischen Staat macht das keinen großen Unterschied. Wichtiger ist etwas anderes: „Ich bitte Sie ganz besonders, auf Ihre Muttersprache, Türkisch, zu achten“, sagte Erdoğan in Köln. „Lassen Sie Ihre Verbindung zu Ihrer Kultur, Ihren Werten und Ihrem Vaterland nicht abbrechen.“ Auch als Bürger anderer Länder bleiben Auslandstürken aus diesem Blickwinkel im Grunde weiter Türken.

Für die türkischen Staatsbürger im Ausland gilt das natürlich ohnehin. Erdoğan wollte in Köln vor allem mit Blick auf die türkische Staatspräsidentenwahl im August um die Stimmen der rund 1,5 Millionen türkischen Wähler werben, die in Deutschland leben. Am Dienstag bekräftigte der Ministerpräsident, er werde sich von Kritik aus Europa nicht davon abhalten lassen, sich um die Belange der dort lebenden Türken zu kümmern. In Deutschland würden schließlich drei Millionen Türken leben, sagt er in Hinblick auf seinen umstrittenen Besuch. „Wir fahren dorthin“, sagte Erdoğan. „Koste es, was es wolle.“

AUF EINEN BLICK

Stimmenfang. Es sind nur noch wenige Wochen bis zur Präsidentschaftswahl in der Türkei im August 2014 – der amtierende türkische Ministerpräsident, Recep Tayyip Erdoğan, versucht nun, auch Wählerstimmen im Ausland zu mobilisieren. Vergangenen Samstag sprach Erdoğan vor türkischstämmigen Deutschen und bekräftigte das nahe Verhältnis der Türkei zu den Auslandsbürgern. Das ist allerdings keine neue Einstellung: Ankara sieht von jeher Emigranten als Türken, selbst wenn sie längst den Pass eines anderen Landes besitzen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.05.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Turkey's Prime Minister Tayyip Erdogan addresses members of parliament from his ruling AK Party during a meeting in Ankara
Außenpolitik

"Als wäre Köln eine türkische Provinz"

Erdogan wirbt wieder einmal um Auslandstürken. Zigtausende Gegner des türkischen Premiers könnten den umstrittenen Auftritt in Köln stören.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.