Irak: Jihadisten-Vorstoß Richtung Bagdad

Residents look on as oil leaks into the Tigris River while smoke rises in Tikrit
Residents look on as oil leaks into the Tigris River while smoke rises in Tikrit(c) REUTERS
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Kämpfer des Islamischen Staats im Irak und der Levante besetzen Tikrit und das Raffinerie-Zentrum Baiji. Die autonome Kurdenregion wappnet sich für den Kampf gegen die Extremisten.

Die irakischen Sicherheitskräfte scheinen wie gelähmt. Ihnen gelang es am Mittwoch weiterhin nicht, den Vormarsch der Extremistengruppe Islamischer Staat im Irak und der Levante (Isil) zu stoppen. Einen Tag nach der Eroberung von Iraks zweitgrößter Stadt Mosul drangen Isil-Einheiten in die Stadt Baiji ein. Baiji ist von großer strategischer Bedeutung. Denn hier befindet sich Iraks größtes Kraftwerk, das die Hauptstadt Bagdad sowie die Stadt Kirkuk samt Umland mit Strom versorgt. In Baiji stehen auch die beiden größten Erdölraffinerien des Landes, die gemeinsam 320.000 Barrel pro Tag liefern – das sind etwa 40 Prozent der gesamten irakischen Produktion.

In Mosul stürmten die Untergrundkämpfer das türkische Konsulat und nahmen 48 Personen als Geisel. Am Mittwochnachmittag eroberte Isil dann Tikrit südlich von Baiji. Die Geburtsstadt des Ex-Diktators Saddam Hussein gilt als nördliches Einfallstor nach Bagdad. Auch Hawija bei Kirkuk soll von Isil besetzt worden sein.

Flüchtlingsstrom zu Kurden

Der Vormarsch der Extremisten hat eine gewaltige Flüchtlingswelle ausgelöst. Allein aus Mosul flohen laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) 500.000 Menschen. Sie bringen sich in der Autonomen Region Kurdistan in Sicherheit. Die Kurdenregion im Nordirak hat in den vergangenen Jahren bereits zahlreiche Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. Zudem beherbergt sie Christen, die aus den südlicheren Teilen des Landes vertrieben worden sind.

Die kurdische Regionalregierung ist nicht nur wegen der wachsenden Zahl der Flüchtlinge aus dem von Isil eroberten Territorium besorgt. Sie verfolgt auch mit Argusaugen, wie sich Isil nun in Gebieten breitmacht, die auch die Kurden für sich beanspruchen.

Die Presse

Die Autonome Region Kurdistan ist Teil des Irak. De facto hat sich in den vergangenen Jahren hier aber eine Art Staat herausgebildet mit einer eigenen Regierung und eigenen Streitkräften. Mosul liegt außerhalb der Kurdenregion. In der Stadt und ihrem Umland leben aber viele Kurden.

Rote Linie vor Kirkuk

Dasselbe gilt für Kirkuk. Die Kurdenregierung fordert seit vielen Jahren die Eingliederung der Stadt in die autonome Kurdenregion. Gemäß irakischer Verfassung soll über die Zukunft Kirkuks ein Referendum abgehalten werden, das aber bereits mehrmals verschoben worden ist. Sollten sich Kämpfer von Isil nun von Hawija weiter auf Kirkuk zubewegen, wäre für die Führung der Kurdenregion wohl eine rote Linie überschritten. Sie kann im Notfall auf einige schlagkräftige Peshmerga-Einheiten zurückgreifen.

Die kurdische Regionalregierung werde eng mit Bagdad kooperieren, um Isil wieder zu vertreiben, sagte am Mittwoch bereits Iraks Außenminister Hoshjar Zebari, der selber Kurde ist. Politisch könnte die Regionalregierung vom Vormarsch der sunnitischen Untergrundkämpfer sogar profitieren. Zuletzt waren unter kurdischen Politikern und Intellektuellen in Erbil die Stimmen lauter geworden, die die Ausrufung eines unabhängigen Kurdenstaates fordern. Wenn der restliche Irak noch tiefer im Chaos versinkt, würde ihnen das als weiteres Argument dafür nützen, einen völlig eigenen Weg zu gehen.

Nato-Dringlichkeitssitzung zur Irak-Krise

Unterdessen hat die Nato eine Dringlichkeitssitzung zu der Situation im Irak abgehalten. Die Türkei habe das Treffen beantragt, sagte ein Vertreter des Bündnisses. Die Regierung in Ankara habe die Verbündeten über die Lage im Nachbarland informiert, jedoch nicht um Hilfe im Rahmen der Allianz gebeten. Die USA sagten der Regierung in Bagdad "jede angemessene Hilfe" zu, ohne jedoch Einzelheiten zu nennen. Eine Sprecherin des US-Außenministeriums erklärte, man sei über die sich verschlechternde Sicherheitslage im Irak sehr besorgt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.06.2014)

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