Wie der Alte Kontinent seit Jahrhunderten Amerika verachtet

Amerikas Pazifikkueste
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In der Ukraine-Krise bricht der linke wie rechte Antiamerikanismus offen aus. Neu ist das alles nicht. Ein kleiner Streifzug durch die Geschichte.

Wien/Washington. Man muss sich diesen Ort wohl wie die Antithese zum Paradies vorstellen. Sümpfe und dichte Wälder lösen einander ab. Große Pflanzen oder Tiere gibt es hier nicht. Aber die Menschen, die bilden sich zu Tieren zurück. Wegen des Klimas ist auf diesem Neuen Kontinent alles zur Degeneration verdammt. Der französische Naturforscher Georges Louis Leclerc, Comte de Buffon legte im 18. Jahrhundert mit seiner Degenerationsthese die „wissenschaftliche“ Basis für den aufkeimenden Antiamerikanismus.

Die Ablehnung des neuen Staatengebildes jenseits des Atlantiks wird sich ihren Weg durch die europäischen Jahrhunderte bahnen, sie wird Adel und Dichter befallen, sich als kleinster gemeinsamer Nenner zwischen radikalen Linken und Rechten erweisen.

In der Ukraine-Krise hat der Antiamerikanismus ein neues Ventil gefunden. Reflexartig ergießt sich nun in Internetforen der Hass auf Amerika, gemischt unter gewöhnliche Kritik an der US-Politik. Notorisch wird auf den Irak-Krieg verwiesen, um Kritik an der russischen Krim-Annexion zu parieren. Als bestünde ein Konnex und als ließe sich nicht beides kritisch hinterfragen. Amerika ist wieder einmal der große Elefant im Porzellanladen. Und der Feind des Feindes wird zum Freund: Russland. Die Rechten feiern Putin ohnehin als Symbol „gegen Feminismus, Sittenverfall und Toleranz für Homosexuelle – diesen Nonsens aus Sicht der Rechten, den sie den USA zuschreiben“, sagt Andrei S. Markovits, Professor der Politikwissenschaft an der University of Michigan. „Und egal, was die USA machen, es ist immer verkehrt. Die Liberalen werfen den USA vor, der Ukraine zu wenig zu helfen. Linke wie Rechte unterstellen den USA zugleich, imperialistisch das friedliebende Russland zu bedrohen“, so Markovits, der auch in Wien aufwuchs.

Wobei der Vorwurf des Antiamerikanismus auch gern als Keule gegen jede Art der Kritik an der US-Politik missbraucht wird. „Dabei ist Antiamerikanismus nicht die Ablehnung von dem, was die USA tun, sondern von dem, was sie sind. Und du kannst schwer ändern, wer du bist“, sagt Jesper Gulddal von der australischen Universität Newcastle.

Der NSA-Skandal zum Beispiel: Berechtigte Kritik an der „katastrophalen Spionage“ sei in Deutschland in eine „nationale Hysterie“ umgeschlagen, so Markovits. Zeitgleiche Enthüllungen über Machenschaften anderer Geheimdienste, wie etwa des britischen oder französischen, verkamen zu Randnotizen. Auch dass Snowdens Asylgeber Russland ebenfalls über einen „ausdifferenzierten und brutalen Geheimdienst“ verfügt, fände kaum Erwähnung, so Heiko Beyer von der Universität Wuppertal. Auch in dieser Doppelmoral spiegle sich Antiamerikanismus. Wer den frühen Antiamerikanismus erforschen will, liest am besten bei zwei Österreichern nach. In Ferdinand Kürnbergers 1855 erschienenem, viel beachtetem Roman „Der Amerika-Müde“ ist der Titel Programm. Die Pointe: Kürnberger überquerte nie den Atlantik, der Wiener stützte sich auf die Tagebucheinträge seines Landsmanns, des Dichters Nikolaus Lenau. Und dieser Lenau griff auf das Federvieh zurück, um die Verkommenheit der „himmelan stinkenden Krämerseelen“ zu illustrieren: „Das scheint mir von ernster, tiefer Bedeutung zu seyn, dass Amerika gar keine Nachtigall hat. Es kommt mir vor, wie ein poetischer Fluch (...). Eine Niagarastimme gehört dazu, um diesen Schuften zu predigen, dass es noch höhere Götter gebe, als die im Münzhaus geschlagen werden. Man darf diese Kerle nur im Wirtshaus sehen, um sie auf immer zu hassen.“

Sündenbock Amerika

Der Befund der Österreicher wird sich durchdie Aristokratie und spätromantische Literatur ziehen. Auch Weltstars wie Charles Dickens stellen ihn aus: der oberflächliche Amerikaner, verroht, wurzel- und kulturlos, ohne Sinn für Manieren eben. Und materialistisch. Dieses Bild des vom Konsumwahn durchsetzten Amerikas schärft sich um die Wende des 20. Jahrhunderts. Rechte wie linke Ideologen werden es zeichnen. „Einen verkürzten Antikapitalismus“, nennt es Heiko Beyer. Er reicht bis in die Gegenwart. In der globalisierten Welt gebe es eben das psychologische Verlangen nach einem Sündenbock für die Verfehlungen des Kapitalismus. Und wer eignet sich dafür besser als das Erfinderland der Kreditkarte und der modernen Fließbandfertigung?

Es macht diesen europäischen Antiamerikanismus so befremdlich, dass er sich – anders als seine asiatischen oder lateinamerikanischen Ableger – nicht aus historischen Ungerechtigkeiten speist. Jahrhundertelang zeigte Washington gar kein machtpolitisches Interesse an Europa. „Und die späteren Kontakte zwischen Europa und der USA wurden weitgehend als positiv befunden“, sagt Gulddal. Doch weder Amerikas entscheidender Beitrag zur Vernichtung Nazi-Deutschlands noch seine Finanzierung des europäischen Wiederaufbaus vermögen diesen -ismus aus der Welt zu schaffen.

Womöglich ist der frühe, noch gar nicht politische Antiamerikanismus des 19. Jahrhunderts auch eine Antwort auf das gegensätzliche Phänomen: diesen glühenden, mit allzu hohen Erwartungen gefüllten Amerikanismus, der in Massenauswanderungswellen gipfelt. Die „von Gottes Gnaden“ regierenden und auf Amerika herablassend blickenden Herrscherhäuser Europas fühlen sich von dieser neuen Massendemokratie bedroht wie später die Nazis.

Obama, der Europäer

Nach dem Ende des Kalten Kriegs und dem damit verbundenen Bedeutungsverlust der USA als Schutzmacht Westeuropas wird der Antiamerikanismus schleichend zum Massenphänomen. Er wird sich etwa unter die Kritik an George W. Bushs „War on terror“ mischen: „Die alten Bilder des Adels und der Intelligenzija werden in dieser Zeit von breiten Schichten übernommen“, sagt Beyer. Und als Obama nicht ins Bild passt, „gibt es die Tendenz, ihn als sozialdemokratischen Europäer darzustellen“. Der Australier Gulddal ist davon überzeugt, dass dieser ganze Aufwand der europäischen Identitätsfindung dient. Und zwar nicht erst seit Beginn des EU-Einigungsprozesses, sondern seit 200 Jahren. Es hilft diesem alten, vielfältigen Kontinent eben schon, wenn er weiß, was er nicht ist: Amerika. Identität durch Ab- und Ausgrenzung.

1781 stampfen 20 Männer in den Wäldern von New Hampshire durch den Schnee. Auf Geheiß des späteren US-Präsidenten Thomas Jefferson gehen sie auf Jagd. Ihre Beute sollteJefferson Europas Naturalisten in aller Ausführlichkeit beschreiben. Es ist ein großer Elch – und zugleich das Ende für Buffons Degenerationsthese.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2014)

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