Topmanager: „Deshalb sage ich, wie es ist“

Siegfried Wolf
Siegfried Wolf(c) REUTERS
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Man kann Putin verstehen. Und man kann ihn verteidigen. Topmanager Siegfried Wolf tut beides. Was ihn dazu motiviert? Gerechtigkeit.

Die Presse: Im Mainstream existiert eine Totalnegativbewertung Wladimir Putins, die meines Erachtens zu kurz greift. Aber die Verteidigung Putins, die Leute wie Sie vornehmen, überzeugt auch nicht.

Siegfried Wolf: Ich verteidige ihn nicht. Er macht weder alles richtig noch alles falsch. Wir sind gut beraten, wenn wir zum Dialog übergehen und Putin auf Augenhöhe begegnen. Man muss wegkommen davon, Putin immer nur vorzuschreiben, was er zu tun hat. Und man muss von der persönlichen auf eine sachliche Ebene übergehen.

Sie stellen die negativen Faktoren in Russland (katastrophale Korruption, Kapitalflucht, nicht funktionierende Justiz ...) als Begleiterscheinungen eines an sich richtigen Systems dar. Könnte nicht das System selbst krank sein?

Schauen Sie: Die Probleme werden in Russland erkannt. Wir würden wollen, dass es schneller geht. Aber wer hier lebt, sieht, dass Bewegung stattfindet. Man muss den Menschen auch Zeit geben. In Österreich reden wir seit 30 Jahren von einer Verwaltungsreform. Man kann bei Russland nicht dauernd alles nur schlechtreden.

Nun, wenn ich sehe, wie Premier Medwedjew und sogar Putin mitunter das Nichtfunktionieren des Systems geißeln, weiß ich nicht, was wir schlechtreden.

Stimmt. Aber man muss auch andere Dinge sehen: Seit Putins Amtsantritt wurde die Inflation gedrückt, das BIP hat sich verdreifacht. Man hat einen Stabilitätsfonds eingeführt. Unter den größten Wirtschaftsnationen war Russland 1999 noch auf Platz 22, 2012 dann auf Platz neun.

Beim BIP bin ich mir aber nicht sicher, was Putins Leistung war, denn der steigende Ölpreis und die postsowjetische Nachfrage haben es mitgehoben.

Das ist auch richtig. Aber Putins Reformen haben das auch angekurbelt. Vergleichen Sie innerhalb der BRIC-Staaten! Die hochgelobten Chinesen liegen beim BIP pro Kopf um 40 Prozent unter den Russen. Das BIP pro Kopf macht Kaufkraft. Daher: Wir brauchen als exportorientiertes Europa ein starkes Russland als Wachstumsmarkt.

Die Annexion der Krim war ein Bruch des Völkerrechts. Sehen Sie es nicht eher als Ausdruck von Schwäche, einem Land, das wirtschaftlich darniederliegt, eine Halbinsel wegzuschnappen?

Menschenrechtsverletzungen werde ich sicher nicht gutheißen, so es sie gab. Man muss aber auch sagen, dass sich 92 Prozent der Krim-Bewohner für Russland ausgesprochen haben. Wenn man sich heute die Ukraine anschaut, dann sind die Leute auf der Krim zumindest sicher. In der Ostukraine muss erst ein Waffenstillstand erreicht und entschieden werden, wer reingeht: die UNO, die EU, die OSZE?

Russland hat viele kluge Köpfe. Was mich an Ihnen wundert, ist, dass Sie den sowjetsozialisierten Putin immer noch für den Richtigen halten, die Herausforderungen der Zukunft zu meistern.

Er hat ja auch viele junge Leute im Team. Aber es braucht in einer Umstellungsphase halt auch eine starke Führungspersönlichkeit. Und bei Putin sehe ich sie.

Stark ist da immer gleichbedeutend mit autoritär. Es ist doch wohl ein Mythos, dass Russland, weil es so groß ist, eine starke Hand brauche. Kanada oder Brasilien ist auch nicht klein.

Wir wissen alle: Demokratie kann nicht verordnet werden. Es dauert.

Würden Sie sagen, dass Putin vom Westen schlechter behandelt wird als andere autoritäre Machthaber?

Die letzte Kritik lässt mich das vermuten. Ich habe noch nie solche Gewaltaufrufe gesehen – auch gegen meine Person: Man könne mich dort und da nicht einsetzen, weil ich eine Nähe zu Putin habe.

Russland liegt näher als China. Und das Establishment pocht selbst darauf, nach westlichen Maßstäben gemessen zu werden. Da ist mehr Kritik wohl logisch.

Wenn man die Nähe rein geografisch sieht, sicher. Russland gehört zu Europa.

Sie sind einer der gefragtesten Manager in Russland und könnten sich Kritik leisten oder schweigen. Was motiviert Sie, sich so zugunsten Putins zu äußern?

Man hat das Gefühl, dass im Westen nicht richtig über Russland berichtet wird. Es ist daher ein Verständnis von Gerechtigkeit. Und ich sehe es als Verpflichtung, Dinge ins rechte Licht zu rücken. Daher sage ich, wie es ist. Ich denke, dafür braucht man sich nicht zu entschuldigen. Die Kritiker müssten sich Russland einmal anschauen.

ZUR PERSON

Siegfried Wolf (56) ist seit 2010 Topmanager beim russischen Tycoon Oleg Deripaska und bekannt für sein gutes Verhältnis zu Kreml-Chef Wladimir Putin. Zuvor war Wolf in Frank Stronachs Magna-Konzern. [ Reuters ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2014)

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