Der umtriebige Mister Blair

Der Nahe Osten bleibt für den ehemaligen britischen Premierminister ein Lieblingsbetätigungsfeld. Seiner Geldbörse tut das gut, aber Parteifreunde stöhnen laut auf.

Als Nahost-Gesandter hat Tony Blair seit seiner Ernennung 2007 keine nennenswerten Erfolge erzielt. Dafür arbeitet der britische Ex-Premier offensichtlich daran, sein Portfolio an lukrativer Beratungstätigkeit in der Region zu erweitern. Wie der „Guardian“ berichtete, soll Blair künftig dem ägyptischen Präsidenten, Abdel Fatah al-Sisi, zur Seite stehen. Ein Blair-Sprecher bezeichnete den Bericht zwar mittlerweile als „Blödsinn“, doch selbst ungefragt kann Blair zum Thema Nahost nicht schweigen.

In Ägypten begrüßte er ganz offen den Militärputsch vor einem Jahr. Noch mehr Kopfschütteln und ein akutes Gefühl schmerzhafter Peinlichkeit erntet der einstige Chef der Labour Party mit seinen anhaltenden Ausführungen zum Irak, wo er gemeinsam mit US-Präsident George W. Bush 2003 die Militärintervention anführte. Als hätte er mit der Vorgeschichte ganz und gar nichts zu tun, stürzt sich das Schlachtross angesichts der aktuellen Irak-Krise munter ins publizistische Getümmel und schrieb vor wenigen Tagen in einem „Essay“ auf seiner Homepage: „Wir müssen uns von dem Gedanken befreien, dass wir das verursacht haben.“

In der „Welt, wie Tony Blair sie sah“, ist der militante Islam das Problem. An seiner Entstehung sieht er sich aber nicht beteiligt, dieser sei vielmehr das Produkt einer „giftigen Mischung aus schlechter Politik und schlechter Religion“. Der Aufsatz mit dem Titel „Der Sturz von Saddam Hussein hat diese Krise nicht verursacht“ löste solch wütende Reaktionen aus („Ein Verrückter schreibt“), dass die „Financial Times“ sich zum Schließen seines Online-Forums gezwungen sah.


Nackte Wut. Sieben Jahre sind es mittlerweile, dass der britische Premier sein Amt zurückgelegt hat, aber immer noch packt allein bei der Nennung seines Namens viele seiner Landsleute der „nackten Wutrausch“, wie Tim Bale von der Queen Mary University of London sagt. Das hat vor allem mit dem Erbe des Irak-Kriegs zu tun, der Großbritannien nicht nur geschätzte zehn Mrd. Pfund und 179 getötete Soldaten kostete, sondern langfristige Schäden anrichtete.

Die desaströse Intervention beschädigte nachhaltig das Vertrauen in die Politik, belastet bis heute massiv das friedliche Zusammenleben der Religionen (allein in Syrien sollen 400 Extremisten britischer Herkunft kämpfen) und lähmte die außenpolitische Handlungsfähigkeit Londons wahrscheinlich auf Jahrzehnte (wie sich im Vorjahr in der Syrien-Debatte zeigte). Eine 2009 eingesetzte Untersuchungskommission über die Hintergründe des Irak-Kriegs hat bis heute ihre Ergebnisse nicht vorgelegt; juristische Winkelzüge werden dafür sorgen, dass entscheidende Dokumente nie veröffentlicht werden.

Dass Blair überhaupt noch wagt, öffentliche Stellungnahmen abzugeben, zeugt von bemerkenswertem Selbstbewusstsein. Andere, wie der Thatcher-Biograf Charles Moore, wollen Züge von „Messianismus“ festgestellt haben. TV-Moderator Jeremy Paxman fragte in seinem letzten Interview Blairs ehemaligen Spin-Doctor Peter Mandelson über den Ex-Premier: „Ist er ein bisschen übergeschnappt?“ Der Londoner Bürgermeister, Boris Johnson, ist sich bereits sicher: „Ich bin zu der Ansicht gelangt, dass Tony Blair verrückt geworden ist und dringend professioneller psychiatrischer Betreuung bedarf.“

Noch zusätzlich verhasst macht Blair der Umstand, dass der Labour-Politiker, der die Welt einst mit Slogans über Chancengleichheit und die Versöhnung von Sozialismus und Kapitalismus auf dem berühmten „Dritten Weg“ betörte, seit dem Ausscheiden aus der Politik seine Kontakte und seinen Namen schamlos zu Geld macht. Sichtlich indigniert dementierte er kürzlich das Gerücht, sein Vermögen belaufe sich bereits auf mehr als 100 Mio. Pfund. „Ich habe nicht einmal einen Bruchteil davon“, erklärte er.

Dass er über Demokratie und Menschenrechte predigt und zugleich einen Autokraten wie Kasachstans Präsidenten Nursultan Nasarbajew berät und engste Beziehungen zu Leuten wie Medienzar Rupert Murdoch pflegte (hier soll es zu einer folgenreichen Verquickung privater und beruflicher Interessen gekommen sein, die mit einer Scheidung bei den Murdochs und der Androhung durchaus schmerzhafter Maßnahmen im Hause Blair endete), scheint für ihn kein Widerspruch zu sein.

Für die Labour Party ist Blair längst zu einer Peinlichkeit und Belastung geworden. „Wenn sein Name im Parlament fällt, bricht bei den Labour-Abgeordneten der kalte Angstschweiß aus“, meinte jüngst der Satiriker John Crace. Die älteren unter ihnen wollen auch nicht gern daran erinnert werden, dass sie einst brav für Blair, der immerhin drei Wahlen gewann, stimmten.

Seit Jahren läuft im Internet die Aktion „Arrest Blair“, bei der für die Festnahme des Ex-Premiers wegen des Vorwurfs der Kriegsverbrechen eine Belohnung ausgelobt ist. Im Jänner nahm der Barkeeper Twiggy Garcia eine derartige symbolische „Bürgerfestnahme“ vor, wie das nach britischem Recht möglich ist, als Blair mit Familie in einem In-Lokal einkehrte. Der aktuelle Stand im Pot für eine Festnahme beträgt 7.413.80 Pfund. Dafür spricht Tony Blair nach aktuellem Tarif für seine Reden genau zwei Minuten 43 Sekunden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.07.2014)

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