Großmächte sollen in Wien die Atomverhandlungen mit Iran retten

U.S. Secretary of State Kerry speaks during a joint news conference in Cairo
U.S. Secretary of State Kerry speaks during a joint news conference in CairoREUTERS
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Die Gespräche über Irans Atomprogramm stecken fest. Knapp vor Ablauf der Frist übernehmen Kerry, Steinmeier & Co. das Kommando.

Wien. Wenn die Außenminister in die Verhandlungen über das iranische Atomprogramm eingreifen, läuft es entweder sehr gut – und es gibt etwas zu unterzeichnen – oder sehr schlecht. Diesmal läuft es ziemlich schlecht. „Es schaut nicht ganz so gut aus“, sagte ein Insider zur „Presse“. Jetzt sollen die Chefdiplomaten den Karren aus dem Dreck ziehen. „Inventur“ nennt dies der Sprecher der EU-Außenbeauftragten, Catherine Ashton, die für die 5+1-Gruppe (die fünf Vetomächte plus Deutschland) im Palais Coburg verhandelt und die den Hilferuf an die Außenminister abgesetzt hat.

Washingtons John Kerry wird Samstagnachmittag anreisen, seine Kollegen Frank-Walter Steinmeier (Deutschland), William Hague (Großbritannien) und Laurent Fabius (Frankreich) am Sonntag, Irans Mohammed Javad Zarif ist ohnehin längst hier. Der große Abwesende wird Russlands Außenminister, Sergej Lawrow, sein, ihn wird sein Vize vertreten. Ob Chinas Wang Yi anreist, war unklar.

Sebastian Kurz freut sich über den großen Bahnhof. „Ich bin sehr froh, dass es uns gelungen ist, die Atomgespräche nach Wien zu holen.“ Sechsmal an 24 Tagen haben sich die Verhandler mittlerweile in Wien getroffen. „Jetzt geht es ans Eingemachte“, sagt Österreichs Außenminister, der seine Amtskollegen auch unter vier Augen treffen will.

Bis 20. Juli läuft die Frist, auf die man sich bei einem Zwischenabkommen in Genf im November verständigt hat. Bis dahin soll alles festgezurrt und der Atomstreit gelöst sein, der die Staatengemeinschaft und den Iran seit zwölf Jahren entzweit. Vor allem der Westen wirft dem Iran vor, Atomwaffen zu entwickeln, Teheran beteuert, seine Nuklearaktivität diene zivilen Zwecken. Da der Iran aber sein Programm verheimlichte und nicht ausreichend mit der Wiener Atomenergiebehörde kooperierte, haben UN, EU und USA Sanktionen verhängt. Die Frist könnte zwar verlängert werden, doch wie „Die Presse“ erfuhr, will man dies nicht sofort tun, sondern erneut alle Kräfte für eine Einigung sammeln.

Das Ziel ist klar. Dem Iran soll der Weg zur Atombombe verbaut werden. Doch trotz monatelanger Verhandlungen sind die Kernfragen immer noch ungelöst:

1. Der Iran besteht auf der Urananreicherung, der Westen will diese jedoch stark begrenzen.

Als Hauptstreitpunkt kristallisierte sich Irans Programm zur Urananreicherung heraus. Grund: Teheran ist hier relativ weit fortgeschritten (im Gegensatz zum zweiten Weg zur Atombombe via Plutonium). Niedrig angereichertes Uran des Isotops 235U ist zum Bau von Brennstäben für Atomkraftwerke nötig. Teheran behauptet, dass dies der Zweck des Programms sei. Dazu würde aber eine Konzentration von fünf Prozent reichen. Der Iran hat aber – bis zum Zwischenabkommen – mit Zentrifugen einen Teil seines Urangases auf 20 Prozent angereichert. Der Schritt von 20 auf 90, dem für Waffen nötigen Level, ist technisch einfacher, genau das bereitet dem Westen Sorgen. Im Rahmen des Genfer Abkommens hat Teheran einen Großteil seiner Bestände an 20-prozentigem Uran verdünnt oder zu Uranoxid konvertiert, laut Bericht der IAEA hat der Iran (Stand Ende Mai) 38,4 kg von zuvor etwa 209.

Der Iran verfügt derzeit über rund 20.000 Zentrifugen, wovon gut 10.000 in Betrieb sind. Aber Zentrifuge ist nicht gleich Zentrifuge, und so führt der Streit um die schiere Zahl etwas in die Irre: Der Großteil des iranischen Bestands gehört zur ersten Generation IR1, nur 1000 zum moderneren Typ IR2 – doch dieser ist etwa sechsmal effizienter.

Ein Deal muss also folgende Faktoren berücksichtigen: Wie viele Zentrifugen welcher Generation laufen auf welchem Niveau? Der Westen verlangt eine starke Reduktion der Zentrifugen (von einem Bruchteil der derzeitigen Kapazität sprach kürzlich ein hoher Vertreter der US-Regierung), Teheran verlangt jedoch mittelfristig sogar einen Ausbau (meist wird 50.000 genannt, zuletzt hieß es gar 190.000). Begründet wird dies mit dem Bedarf möglicher künftiger Atomkraftwerke.

2. Der Westen verlangt einen signifikanten Rückbau des Reaktors Arak, an dem der Iran festhält.

Knackpunkt Nummer zwei ist der Schwerwasserreaktor Arak. Läuft er einmal, fällt Plutonium an: der alternative Weg zur Atombombe, und für Iran der langwierigere. Noch ist der Reaktor nicht fertig (derzeit läuft ein Moratorium, geschätzte Restbauzeit: gut ein Jahr). Und er müsste dann noch etwa ein Jahr laufen, um genug Plutonium für ein bis zwei Atombomben zu produzieren. Um aus den Brennstäben waffenfähiges Material zu extrahieren, wäre zudem eine Wiederaufbereitungsanlage nötig. Und die hat der Iran (noch) nicht.

Teheran bot im April einen Kompromiss an: den 40-MW-Reaktor, der angeblich zur Produktion von Isotopen für medizinische Zwecke dient, so zu redimensionieren, dass statt neun bis zehn Kilogramm Plutonium nur noch ein kg jährlich anfällt. Dies kann durch eine Reduktion der Leistung (auf zehn MW) erreicht werden und durch einen anderen Brennstoff. „Das Thema Arak ist praktisch gelöst“, sagte Ali Akbar Salehi, Chef der iranischen Atomenergiebehörde, damals. Im Westen sieht man das anders: „Nichts ist vereinbart, solange nicht alles vereinbart ist“, so das Mantra aus der US-Delegation in Wien.

Ein Deal müsste aus Sicht des Westens nicht nur ein Verkleinern Araks umfassen, sondern es dem Iran auch möglichst erschweren, dies rückgängig zu machen.

3. Der Iran arbeitete an Zündern, die vor allem einen Einsatzbereich haben: Atombomben.

Der brisanteste Punkt sind Aktivitäten im Iran, die laut Geheimdiensten direkt mit dem Bau einer Atombombe verbunden sind. Die IAEA stuft das als „glaubwürdig“ ein. Dabei geht es etwa um „explodierende Drahtzünder“: dünne Drähte, durch die starker Strom gejagt wird, der den Draht sofort verdampfen lässt und umliegenden Sprengstoff zündet. Bei einer typischen Atombombe ist eine Plutoniumkugel von Sprengstoff umgeben, der von vielen Drähten extrem präzis gezündet wird, damit die Kugel perfekt zur kritischen Masse gepresst wird. Die Zünder wurden in den USA einst extra für Kernwaffen entwickelt und haben sonst nur wenige Anwendungen in Raumfahrt und Bergbau.

Weitere Indizien sind iranische Studien über extrem schnell abbrennende Sprengstoffe, Neutronenflüsse (treten bei Kernexplosionen auf) und Vertuschungsaktionen im Militärforschungzentrum Parchin. Zuletzt wurde vereinbart, dass der Iran der IAEO bis 25. August all dies erklärt. Für die Drahtzünder gibt Teheran bisher zivile Projekte an.

4. Über sein Raketenprogramm will der Iran nicht verhandeln. Es ist aber Teil des Problems.

Sehr schattenhaft bei den Gesprächen, doch sehr relevant ist das Kapitel Raketenbau: Laut Resolution 1929 des UN-Sicherheitsrats vom Juni 2010 darf der Iran nämlich nicht an ballistischen atomwaffentauglichen Raketen arbeiten. Nun baut der Iran aber seit Langem ein vielfältiges Arsenal eben an ballistischen Raketen auf, angeblich für konventionelle Gefechtsköpfe, und betrachtet das als Sache von nationalem Prestige. Zudem ist objektiv schwer zu sagen, ab wann genau eine Rakete ein Kernwaffenträger sein kann. Gerüchten zufolge könnte der Iran hier ein Stückzahllimit sowie eine Reichweitenbegrenzung auf 2500 km akzeptieren.

5. Teheran will sofort alle Sanktionen weghaben. Im Westen hat man es weniger eilig.

Und was bekommt der Iran? Geht es nach dessen Wünschen, sollen die Sanktionen sofort ganz wegfallen. Dies ist aber nicht einfach: technisch, weil die Sanktionen von mehreren Akteuren verhängt wurden (USA, EU, UN), politisch, weil der Westen eine schrittweise Lockerung möchte, quasi als Belohnung für erfolgte Schritte Irans.

Die letzte Runde der UN-Sanktionen datiert aus 2010. Damals wurden Restriktionen im Banken- und Finanzsektor ausgesprochen (etwa ein Verbot für iranische Banken, Auslandsfilialen zu eröffnen), Schifffahrtslinien mit Sanktionen belegt und Strafen gegen die Revolutionsgarden ausgeweitet. Die größten Sanktionen haben die USA verhängt. Zuletzt wurden im Februar 2012 alle in den USA liegenden Guthaben der iranischen Zentralbank, weiterer Finanzinstitute sowie der Regierung eingefroren. Auch die EU hat autonome Sanktionen verhängt, etwa ein seit 2012 geltendes Ölembargo. Zudem hat man Gelder von Irans Zentralbank eingefroren.

6. Wie wird die Umsetzung des Abkommens überprüft? Und wie lange läuft es überhaupt?

Eine Vereinbarung ist immer nur so gut wie seine Umsetzung. Für den Westen ist es wichtig, den Rückbau des iranischen Atomprogramm zu überprüfen. Hier wird der IAEO in Wien eine Schlüsselrolle zukommen. Sie hat bereits die Umsetzung des Genfer Zwischenabkommens begleitet – und dem Iran ein positives Zeugnis ausgestellt. Doch wie lange soll das Abkommen gelten? Während der Westen zehn bis 20 Jahre wünscht, will es der Iran bei fünf Jahren bewenden lassen, um dann wie alle anderen Mitglieder des Atomwaffensperrvertrags zu agieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2014)

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