Prorussische Rebellen unter Verdacht

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Die Indizien, dass die Rakete eines schweren Buk-M1-Luftabwehrsystems die Boeing traf und die Rebellen dahinterstecken, verdichten sich – möglicherweise erhielten sie dabei aber Hilfe aus Russland.

Am Tag nach dem Absturz der malaysischen Boeing 777 mit fast 300 Menschen an Bord in der ostukrainischen Region Donezk stand am Freitag ein Waffensystem im Mittelpunkt des Verdachts, dass der Jet dadurch zerstört worden sein dürfte: der russische Mittelstrecken-Luftabwehrkomplex Buk M1 (Buk heißt „Buche“, der Nato-Code lautet SA-11 Gadfly [Stechfliege]).

Buk ist ein sehr komplexes, schweres System basierend auf mehreren Ketten- und Radfahrzeugen, das in den 1970ern entwickelt, in den 1980ern in der UdSSR eingeführt und auch in verbesserten Versionen gebaut wird. Beim häufigen Modell M1 besteht eine Batterie (die grundlegende Einheit) aus drei bis vier Telar-Werferfahrzeugen zu je vier Raketen, in jedem Telar sind vier Mann Besatzung. Dazu kommen ein Kupol-Suchradar, ein Kommandofahrzeug und mehrere Lkw für Reparaturen, Stromerzeugung etc. Eine Batterie kann aus dem Marsch heraus in fünf Minuten feuerbereit gemacht werden und sechs Ziele (bei neueren Versionen noch mehr) zugleich bekämpfen.

Ein Zivilflugzeug hat keine Chance

Das Suchradar „sieht“ 85 Kilometer weit, bei Flughöhen des Ziels von 100 Meter immer noch 35 Kilometer. Jeder Werfer hat ein eigenes Feuerleitradar, das bei 32 km Entfernung übernimmt und ein Ziel „beleuchtet“: Die Raketen folgen den reflektierten Radarstrahlen mit über 3000 km/h, man nennt das halbaktives System. Wenige Meter vom Ziel entfernt zündet der 70 Kilogramm schwere Sprengkopf. Einsatzhöhe: 30 bis 22.000 Meter, Trefferchance bei Flugzeugen: 80 bis 90 Prozent. Ein Ziviljet hat keine Chance, er bemerkt in der Regel nicht einmal, dass er „beleuchtet“ wird.

Für die Bedienung des Systems braucht es also viel geschultes Personal, die Ausbildung dauert viele Monate, das Handbuch ist dick wie das Telefonbuch einer Millionenstadt. Daher wäre die ukrainische Armee, die die Buk M1 hat, als Urheber denkbar. Erstens haben die prorussischen Rebellen bisher nur simple tragbare Flugabwehrraketen mit Einsatzhöhen von drei bis vier Kilometern eingesetzt. Zweitens haben ukrainische Truppen nahe der Krim anno 2001 irrtümlich einen russischen Passagierjet abgeschossen, es gab 78 Tote. Nur: In der Absturzregion sind angeblich keine Luftabwehreinheiten mehr.

Die Indizien, dass es trotz der Kompliziertheit des Systems die Rebellen gewesen sein könnten, verdichteten sich indes, US-Geheimdienste halten das für sicher. Immerhin haben Führer der Rebellen, etwa deren „Verteidigungsminister“ Igor Strelkow, kurz vor Bekanntwerden des Unglücks am Donnerstagnachmittag, im Internet die Jubelmeldung gepostet, man habe gerade einen ukrainischen Antonow-Transporter abgeschossen; dasselbe meldeten auch russische Onlinemedien. Die Postings wurden bald nach dem Crash gelöscht, als wollte man Spuren verwischen. Dann verbreitete der ukrainische Geheimdienst abgehörte Telefonate zwischen Rebellen. Einer davon sprach von „Kosaken“, die ein Zivilflugzeug abgeschossen hätten.

Angebliche Spur nach Russland

Sicher ist auch, dass die Rebellen im Juni eine Buk-Batterie erbeutet haben. Allerdings sagte der ukrainische Generalstaatsanwalt, Witali Jarema, am Freitag überraschend, dieses System sei „nicht einsatzfähig“ gewesen – ob defekt, unvollständig oder ohne Raketen, sagte er nicht. Dafür hieß es nun, eine einsatzfähige Buk-Batterie sei heimlich aus Russland in die Region Donezk verlegt worden. In der Tat tauchten im Internet Bilder auf, die angeblich zeigen, wie Telar-Werfer zurück nach Russland gefahren werden – auch die UN-Botschafterin der USA sprach von dem Verdacht.

Der „Presse“ wurde am Freitag von einem Mitarbeiter des Militärmagazins „Jane's Defence“ ein Foto zugespielt, das einen an der Oberseite mit Planen bedeckten Telar der gestohlenen Batterie in der Stadt Snischne zeigen soll (s. Foto). Snischne liegt in der Nähe des Absturzortes und keine 20 km von der russischen Grenze entfernt.

Angebliches Bild eines (an der Oberseite mit Planen bedeckten) Buk-Starters nahe des Absturzortes
Angebliches Bild eines (an der Oberseite mit Planen bedeckten) Buk-Starters nahe des AbsturzortesIHS Jane's Defence

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.07.2014)

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