Flugzeugkatastrophe: USA drängen Putin ins Eck

MH17 der Malaysian Airlines
MH17 der Malaysian Airlines(c) REUTERS (MAXIM ZMEYEV)
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Der Verdacht gegen die prorussischen Separatisten in der Ostukraine verhärtet sich: US-Geheimdienste halten sie verantwortlich für den Abschuss der MH17 der Malaysian Airlines.

Kiew/Moskau/Washington. Inmitten der Urlaubssaison trauert eine bestürzte Weltöffentlichkeit über 298 Todesopfer, die den Blutzoll des seit Monaten tobenden Konflikts in der Ostukraine schlagartig erhöht haben. Von Kiew über Warschau, Berlin und Amsterdam, von Washington über Canberra und Kuala Lumpur zeigten sich Schock und Abscheu über die von Menschenhand herbeigeführte Flugzeugkatastrophe.

Erwächst aus der Empörung der Weltgemeinschaft, der sich in Dringlichkeitssitzungen der UNO und der OSZE manifestiert hat, politischer Druck für ein Ende des Konflikts? Markiert der Abschuss der Maschine der Malaysian Airlines unter der Flugnummer MH17 im Umkreis des Bergarbeiterdorfs Grabowo als tragischer Höhepunkt einen Wendepunkt in der Ukraine-Krise?

Allerorts erhoben Staats- und Regierungschefs die Forderung nach einem Waffenstillstand im Osten der Ukraine, nach der Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission zur Klärung des abrupten Absturzes aus zehn Kilometern Flughöhe. Doch Alexander Borodai, der ominöse prorussische Separatistenführer der selbst proklamierten Volksrepublik Donezk, sperrte sich zunächst gegen eine Feuerpause. Und in Lugansk gingen die Gefechte unvermindert weiter. Der russische Präsident bot dagegen die volle Kooperation seines Landes an.

Kiew will Strafgerichtshof einschalten

Wladimir Putin hat nach seiner Rückkehr von einem Gipfel der Schwellenländer in Brasilien noch am Donnerstagabend telefonisch Kontakt mit US-Präsident Barack Obama aufgenommen, um seine Entrüstung über die jüngste Verschärfung der Sanktionen gegen Moskau zum Ausdruck zu bringen. Eher beiläufig erwähnte er auch den Absturz der Passagiermaschine nahe der russischen Grenze.

Die politische Tragweite war da noch nicht abzusehen. Kurz darauf legte Putin bei einer Sitzung eine Schweigeminute ein, um hinterher der Ukraine die Schuld für die Katastrophe zuzuweisen. Petro Poroschenko, der ukrainische Präsident, wies umgehend die Verantwortung für den „terroristischen Akt“ zurück. Sein Premier, Arseni Jazenjuk, nutzte die Gelegenheit, um den ungeliebten „großen Bruder“ noch weiter ins Eck zu drängen: Er forderte die Einschaltung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag. „Die Russen sind zu weit gegangen.“

Die Suche nach dem Sündenbock für das Unglück war in Gang gekommen – und die Kreml-Führung geriet augenblicklich in die Defensive. Denn für die US-Geheimdienste steht zweifelsfrei fest, dass prorussische Rebellen auf den Knopf des Buk-Raketenabwehrsystems gedrückt haben, um das Flugzeug „vom Himmel zu blasen“, wie US-Vizepräsident Joe Biden formulierte. Aus US-Sicht steht nun die EU unter Zugzwang, schärfere Sanktionen zu verhängen. Moskaus Verdacht richtet sich indessen auf ein ukrainisches Kampfflugzeug, und laut einer Verschwörungstheorie sollte der Angriff gar Putins Präsidentenmaschine auf dem Rückflug von Brasilien gelten.

Putins Doppelstrategie

Im Zuge des Bürgerkriegs hatten die Separatisten mehrmals ukrainische Hubschrauber und Militärmaschinen abgeschossen. Der schwerste Zwischenfall ereignete sich am 14.Juni, als 49 Ukrainer an Bord einer Iljuschin-Transportmaschine beim Landeanflug auf Lugansk ums Leben kamen. Über die russische Grenze rollen Panzer und schweres Kriegsgerät, darunter Flugabwehrraketen. Nach Meinung von Geheimdienstexperten verfolgt Putin eine Doppelstrategie nach KGB-Manier: Öffentlich tritt er friedenswillig auf, zugleich schürt er den Konflikt durch logistische Unterstützung der Rebellen.

Seit acht Monaten schwelt die Ukraine-Krise um den proeuropäischen Kurs Kiews. Der Sturz des Präsidenten Viktor Janukowitsch und der Anschluss der Halbinsel Krim an „Neurussland“ in einem umstrittenen Referendum kennzeichnen die Meilensteine des Konflikts. Im Frühjahr erhob sich schließlich im Osten des Landes die Revolte gegen Kiew, die Rebellen bauten Donezk, Slawjansk und Lugansk zu ihren Hochburgen aus. Angesichts des separatistischen Treibens hatte die ukrainische Armee lange hilflos agiert, bis Neo-Präsident Poroschenko eine Großoffensive anordnete.

Der Abschuss der MH17 weckte unterdessen nicht nur in den USA Erinnerungen an den Angriff russischer Abfangjäger gegen die KAL-007, eine südkoreanische Passagiermaschine. Am 1.September1983, noch zur Zeit des Kalten Kriegs, war das Flugzeug kurz vom Kurs abgewichen. Die Sowjetunion witterte Spionage und schoss den Jumbojet über der Insel Sachalin ab, 269 Menschen verloren ihr Leben. Die Zivilluftfahrtorganisation ICAO untersuchte die Katastrophe, die Führung in Moskau rückte den Flugschreiber nicht heraus und zeigte sich erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zur Zusammenarbeit bereit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.07.2014)

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