Kampf der Giganten im Hinterhof Chinas

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Anlässlich der weltgrößten Marineübung im Pazifik entsandte Peking ein Spionageschiff vor die Küste Hawaiis. Seit Monaten kämpfen China und die USA um die Vorherrschaft im Südchinesischen Meer.

Wien. Lange hat es nicht gedauert, einen weiteren Anlass für US-chinesische Auseinandersetzungen zu finden. Inmitten der von den USA organisierten Marineübung der Pazifikstaaten, Rimpac, sandte China ein Spionageschiff vor die Küsten Hawaiis. Von einem „Party Crasher“ spricht die „Washington Post“. Als „schlechtes Signal“ bezeichnet es Ben Schreer, ein australischer Verteidigungsstratege gegenüber Bloomberg. Das Absurde daran: China nimmt nach Einladung Washingtons selbst an der weltgrößten Seeübung teil. Zudem beschuldigt es die USA schon länger, Überwachungsschiffe vor Chinas Küstengewässer zu schicken.

Angesichts der Reibereien der zwei Großmächte im Südchinesischen Meer hat China wohl wieder die Gelegenheit ergriffen, seinem Kontrahenten Paroli zu bieten. Seit Jahrhunderten sind die Gewässer umkämpft: Sechs Nationen erheben hier Gebietsansprüche. Den Großteil des Terrains, rund neunzig Prozent, kontrolliert China. Auch die Philippinen, Vietnam, Malaysia, Brunei und Taiwan reklamieren Territorien für sich.

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Opfer- und Täterrollen nicht eindeutig

Die Gründe für die Spannungen sind vielfältig. Es geht nicht allein um Bodenschätze, Fischgründe und Seerouten, sondern um die politische Vorherrschaft in der Region. In den Streit sind nicht nur die Anrainerstaaten verwickelt. Auch die USA haben ein ernsthaftes Interesse, die Vormachtstellung Chinas in dem Gebiet einzudämmen. Das Südchinesische Meer ist für sie ein zentraler wirtschaftlicher und militärischer Verbindungsweg zwischen dem Pazifik und dem Indischen Ozean. Um Pekings Machtausbau Einhalt zu gebieten, können die südostasiatischen Staaten auf US-Hilfe bauen. Dem Südostasienwissenschaftler Alfred Gerstl zufolge spielt Japan hier eine „überraschende“ Rolle: „Es versucht, die Inselstreitigkeiten im Ostchinesischen mit jenen im Südchinesischen Meer zu verbinden, um sich so die Unterstützung der USA zu sichern.“

Seit Jahrzehnten schon streiten Peking und Tokio um die von Japan kontrollierten Diaoyu-Inseln im Ostchinesischen Meer. Dabei sind Opfer- und Täterrollen nicht eindeutig zuzuweisen. Laut Nele Noesselt vom Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien ist es nicht gerechtfertigt, allein China eines Konfrontationskurses zu bezichtigen. Dass die Forderungen Chinas seit Kurzem derart drängend scheinen, liegt der Sinologin zufolge an einer Refokussierung der weltweiten Aufmerksamkeit: Auslöser waren die USA, die unter Präsident Obama die zentrale Bedeutung des Südchinesischen Meers für die globale Entwicklung betont hatten. China habe schon immer großes Interesse am Gebiet gehabt und entsprechende Handlungen unternommen, erklärt sie.

Gemeinsame Regelung notwendig

Noesselt bezeichnet den Südchinesischen Raum als „strategischen Hinterhof Chinas“. Durch die Präsenz der USA und die Sicherheitsbündnisse in der Region werde Peking aber vor große Herausforderungen gestellt.

Dabei bewege es sich auf einem schmalen Grat. Einerseits müsse die KP-Regierung zur Sicherung ihres politischen Rückhalts nationalistischen und patriotischen Forderungen der Bevölkerung nachkommen. Andererseits sei große Zurückhaltung gefordert: Die außenpolitischen Handlungen Chinas würden international rasch als Bedrohung gesehen. „Alles, was gesagt und getan wird, wird oftmals vorschnell als Beweis für die ,neue‘ Aggressivität Chinas herangezogen“, sagt Noesselt.

In der Region überschneiden sich Forderungen basierend auf internationalem Recht, vermischt mit historischen Ansprüchen. Die einzige rechtliche Grundlage ist das UN-Seerechtsübereinkommen (UNCLOS) von 1982. Demnach darf jeder Küstenstaat über eine 200 Seemeilen große „Ausschließliche Wirtschaftszone“ verfügen. Die dadurch entstehenden territorialen Überlappungen und rechtlichen Unklarheiten sind mit ein Grund für die Reibereien. Die heftigsten Auseinandersetzungen führen China, die Philippinen und Vietnam um die Riffe und Felsen der Paracel- und Spratly-Inseln. Während die Philippinen und Vietnam ihre Seegrenzen kürzlich gemäß internationalem Recht präzisierten, fehlt der chinesischen Grenzziehung die rechtliche Grundlage. Dabei regelt UNCLOS auch die Ansprüche auf Inseln: Nur Inseln, auf denen kontinuierliche „menschliche Besiedlung“ und „wirtschaftliches Eigenleben“ in der Vergangenheit bewiesen werden können, dürfen beansprucht werden. Diese Kriterien bieten für Gerstl zu viel Interpretationsraum. Er hinterfragt, ob die militärische Besetzung der Riffe durch die Anrainerstaaten deren Gebietsforderungen rechtfertigt.

Die Regelung erkläre auch die zweifelhaften historischen Legitimierungsversuche der Konfliktparteien. China etwa beruft sich auf eine Befischung der Gewässer seit 2000 Jahren. Grundlage für Pekings Forderungen ist die vage „Neun-Strich-Linie“. Sie markiert die 1947 nach der japanischen Besatzung durch China übernommenen Gebiete. In einem sind sich Experten allerdings einig: Die betroffenen Staaten müssten ihre unterschiedlichen Ansprüche akzeptieren und eine gemeinsame Regelung schaffen, um den Konflikt langfristig lösen zu können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.07.2014)

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