Warum die arabischen Regierungen schweigen

FRANCE PALESTINIANS SUPPORT PROTEST
FRANCE PALESTINIANS SUPPORT PROTEST(c) APA/EPA/CHRISTOPHE KARABA
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Die arabische Welt ist derzeit zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um sich zu Gaza zu Wort zu melden.

Kairo. Es war nicht etwa in Kairo oder einer anderen arabischen Stadt: Die bisher größte Demonstration gegen den Krieg im Gazastreifen fand in London statt. Selbst das Aufbegehren einiger hundert Linksaktivisten in der israelischen Metropole Tel Aviv gegen den Einsatz der Armee ihres Staates war hörbarer als sämtliche Proteste in der Golfregion. Nahezu in der kompletten arabischen Welt herrscht Schweigen, bei den Politikern ebenso wie bei ihren Untertanen, bei Islamgelehrten ebenso wie bei christlichen Oberhirten. Die drei Jahre nach dem Arabischen Frühling haben das gesamte innerarabische Gefüge so durcheinandergewirbelt, dass selbst die jahrzehntelang gewohnte Nahost-Konstante von Empörung über Israels Gewalt gegen die palästinensische Bevölkerung plötzlich wie verflogen scheint.

Polizeistaaten und zerfallende Staaten

Denn die Region teilt sich immer mehr in autoritäre Polizeistaaten auf der einen und zerfallende Staaten auf der anderen Seite, deren Territorien von Bürgerkrieg, chronischen Unruhen, Übergriffen gegen Minderheiten und Extremistenenklaven zerfressen werden. Die zerfallenden Staaten wie Syrien, der Irak, der Libanon und Libyen kämpfen gegen ihren eigenen Untergang. Die autoritären Staaten wie Ägypten, Saudiarabien, Kuwait und die Emirate lassen praktisch überhaupt keine Proteste und keinen inneren Dissens mehr zu.

Jeder, der zum Demonstrieren auf die Straße geht, riskiert Jahre im Gefängnis. Zugleich tun ihre Herrscher alles, was islamistischen Bewegungen schadet. Sie betrachten den Islamismus als Kernursache des regionalen Niedergangs und als Hauptgefahr für ihre eigenen Machtaussichten.

Gleichung: Islamisten sind Terroristen

So rühren die arabischen Regierungen wegen des israelischen Vorstoßes im Gazastreifen keinen Finger, zumal die palästinensischen Islamisten vor Ort fast sämtliche Verbündete eingebüßt haben: Syriens Machthaber Bashar al-Assad hat sich als Massenmörder desavouiert. Der Iran hält sich seit der Wahl des moderaten Präsidenten Hassan Rohani zurück. Die Türkei und Katar sind in der nahöstlichen Welt isoliert wie nie zuvor.

Und in Ägypten nebenan herrscht nach dem Sturz von Mohammed Mursi eine Führung, die alle Islamisten als Terroristen behandelt – und dabei von der Mehrzahl der superreichen Golfaristokratien mit Milliardenbeträgen unterstützt wird. Dieses regionale Machtkartell wünscht eine Niederlage der Hamas, selbst wenn diese durch Israels Raketen erfolgt. Und so ist auch Ägyptens Regierung in diesem Krieg Partei, obwohl sie nach wie vor das Gewand eines neutralen Vermittlers trägt.

Zwar brachte Kairo wieder den Waffenstillstandspakt vom November 2012 auf das Tapet. Aber die Geschäftsgrundlage von damals existiert nicht mehr. Das Geflecht der 1800 Schmugglertunnel in den Gazastreifen, das selbst Ex-Machthaber Hosni Mubarak nie anrührte, wurde seit Mitte 2013 unter dem neuen Militärmachthaber Abdel Fatah al-Sisi weitgehend zerstört.

Der Grenzübergang Rafah, der unter dem abgesetzten Präsidenten Mohammed Mursi erstmals seit Jahren wieder normal funktionierte, war in den vergangenen sechs Monaten nur noch an 17 Tagen für Gazas Bewohner geöffnet.

Dilettantische Diplomatie

Das Übrige tat das dilettantische Vorgehen von Kairos Diplomaten, die vor einer Woche zwar mit Israels Spitze in Tel Aviv konferierten, nicht aber mit der Führung der Islamisten im Gazastreifen, mit der Hamas und dem Islamischen Jihad.

Letztlich ausschlaggebend aber dürfte sein, dass die ägyptische Gaza-Initiative untrennbar mit al-Sisis totalem Feldzug gegen die Muslimbruderschaft am Nil verknüpft ist. Jede Konzession an deren Schwesterpartei Hamas käme aus Sicht des Kairoer Ex-Marschalls einer Teilrevision seines propagierten Feldzugs gegen den Terror und einer Schwächung seiner Legitimität als oberster Feldherr gegen den Islamismus gleich.

Die Palästinenser im Gazastreifen sind deshalb derzeit in der arabischen Welt isolierter als je zuvor.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2014)

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