„Mein Vater sagte, wir sollten uns nicht sorgen“

An Israeli soldier holds a weapon atop an armoured personnel carrier (APC) after crossing back into Israel from Gaza
An Israeli soldier holds a weapon atop an armoured personnel carrier (APC) after crossing back into Israel from Gaza(c) REUTERS (BAZ RATNER)
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Der Deutsch-Palästinenser Ramsis Kilani erzählt, wie seine Familie bei einem israelischen Angriff starb.

Wien/Siegen. Der Fall hatte Deutschland erschüttert. Sieben deutsche Staatsbürger – ein Mann, seine Frau und fünf Kinder– starben vergangene Woche bei einem israelischen Angriff in Gaza. Sein Sohn, der 23-jährige Palästinenser Ramsis Kilani, erzählt von dem Vorfall.

Die Presse: Was wissen Sie vom Angriff auf Ihre Familie in Gaza?

Ramsis Kilani: Mein Vater, seine Frau und meine fünf Halbgeschwister im Alter von vier bis zwölf Jahren starben. Außerdem starben drei Geschwister seiner Frau. Ich erfuhr von meiner Familie, dass der vierjährige Elias lebendig aus den Trümmern gerettet werden konnte, dann jedoch seinen Verletzungen erlag. Die hohe Opferzahl lässt sich durch das gemeinsame Fastenbrechen bei Sonnenuntergang erklären. Ein Zeuge bestätigte deutschen Reportern, dass es keine Warnung seitens der israelischen Armee gab.

Wie haben Sie von dem schrecklichen Ereignis erfahren?

Ich habe davon erfahren, als meine Schwester und Mutter mir auf dem Weg zur Arbeit im Auto entgegenkamen. Meine Schwester hatte über Facebook die Nachricht eines Ingenieurs und Arbeitskollegen meines Vaters, der Architekt war, erhalten. Er berichtete vom Tod der Familie Kilani und schickte einen Link zu einer arabischen Webseite, auf der die Liste der Toten und ein Video der Bergungsversuche zu sehen waren.

Wann haben Sie Ihren Vater das letzte Mal gesehen?

Ich habe meinen Vater zuletzt gesehen, als ich neun Jahre alt war. Er lebte seit ungefähr 14 Jahren in Gaza. Der letzte Telefonkontakt mit der Familie fand am Sonntag statt, etwa 24 Stunden vor ihrem Tod. Mein Vater versicherte uns, wir sollten uns keine Sorgen machen, sie seien in Sicherheit.

Die deutsche Regierung hat bis jetzt noch nicht viel zum Tod Ihrer Verwandten gesagt.

Sieben deutsche Staatsbürger sind getötet worden, und meine Familie hat bis heute keine Stellungnahme, geschweige denn eine Beileidsbekundung der Regierung erhalten. Wir sind enttäuscht und haben keine Worte für diese Doppelmoral.

Es heißt, die Hamas benutze Zivilisten als „Schutzschilde“.

Viel zu häufig wird diese Aussage als Entschuldigung für Kriegsverbrechen der israelischen Armee genutzt. Der Gazastreifen ist die am dichtesten besiedelte Region der Welt. Palästinenser haben keinen eigenen Staat und somit auch keine offizielle Armee. Die Hamas hat gar keine andere Wahl, als den Widerstand innerhalb von Wohngebieten zu organisieren. Mein Vater war nie politisch orientiert, er war nicht einmal sonderlich religiös. Die Hamas lag ihm ferner, als man es sich vorstellen könnte. Die Annahme, dass Familien wie die meines Vaters der Hamas als „Schutzschild“ dienten, ist pervers und den Verbliebenen gegenüber respektlos, wenn man bedenkt, dass die Familie dreimal den Wohnort wechselte, um Angriffen zu entkommen. Nach der Evakuierung Beit Lahias und dem zeitigen Verlassen von Shuja'iye hielt mein Vater den Friedensturm in Gaza City für die sicherste Anlaufstelle. Das erwies sich als falsch. Kein Ort in Gaza ist sicher.

Anscheinend leben in Gaza noch zahlreiche weitere Palästinenser mit deutschem Pass. Denken Sie, dass jemand diese retten wird?

Die momentane Situation sieht nicht gut aus. Auch mein Vater soll in seinen letzten Tagen versucht haben, mit seiner Frau und den Kindern nach Deutschland zu fliehen. Die deutsche Botschaft führt eine Evakuierungsliste, auf der jedoch nicht alle deutschen Staatsbürger erfasst werden können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.07.2014)

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