Wirtschaftskrieg würde Europa 40 Milliarden kosten

Members of Australian Ukrainian community hold placards as they hold a rally in Sydney
Members of Australian Ukrainian community hold placards as they hold a rally in Sydney(c) REUTERS (DAVID GRAY)
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Ein Konflikt mit Moskau dürfte Europas BIP heuer um 0,3 Prozent schmälern. Der Schaden für Russland fiele mit 1,5 Prozent der Wirtschaftsleistung indes deutlich höher aus.

Brüssel/Moskau. Zum Grundwissen eines Folterknechts gehört die Erkenntnis, dass die Angst vor der Tortur manchmal stärker wirkt als körperliche Qualen. Daher zählte das Herzeigen der Folterwerkzeuge zum Standardrepertoire der mittelalterlichen Schergen, denn ihr Anblick reichte oft aus, um dem Beschuldigten ein Geständnis zu entlocken. Mit den wirtschaftlichen Sanktionen, über die Botschafter der EU-Mitglieder am gestrigen Dienstag in Brüssel berieten, verhält es sich ähnlich. So gut wie allen Beteiligten ist klar, dass die Strafmaßnahmen kein Selbstzweck sind und lediglich dazu dienen, Moskau zur Deeskalation in der Ostukraine zu zwingen – wenn dieses Ziel mit psychologischem Druck erreicht werden kann, umso besser.

Investoren verunsichern

Insofern ist es kein Zufall, dass die EU-Kommission, die mit der Vorbereitung der Wirtschaftssanktionen betraut ist, im Vorfeld der Beratungen interne Berechnungen über das Ausmaß der Schäden durchsickern ließ. Europa gehe es darum, Investoren und Wirtschaftskapitäne in Russland derart zu verunsichern, dass der daraus resultierende ökonomische Druck den Kreml zum Umdenken zwingt, hieß es im EU-Positionspapier, das vor wenigen Tagen Medien zugespielt wurde.

Die EU-Experten verheimlichen nicht, dass die Sanktionen (bzw. die russischen Gegenmaßnahmen) Europa ebenfalls stark treffen würden – im laufenden Jahr wäre der absolute ökonomische Schaden sogar höher als die für Russland prognostizierten Auswirkungen: Das BIP der EU dürfte 2014 um 40 Milliarden Euro geschmälert werden, verriet ein Insider der Online-Nachrichtenagentur „EU Observer“. Für Russland wird demnach ein Schaden von 23 Milliarden Euro erwartet.

Was zunächst wie eine strategische Fehlkalkulation der EU wirkt, entpuppt sich als scharfe Waffe, wenn man den zu erwartenden Schaden in Relation zur Wirtschaftsleistung stellt. Denn 40 Mrd. Euro entsprechen lediglich 0,3 Prozent des EU-BIPs, während Russland im selben Zeitraum einen Wegfall von 1,5 Prozent des BIPs zu verkraften hätte. Dessen nicht genug: Sollte sich der Wirtschaftskrieg bis ins kommende Jahr ziehen, wäre Russland ernsthaft in Bedrängnis. Der prognostizierte Schaden von 75 Mrd. Euro im Jahr 2015 entspricht nämlich knapp fünf Prozent der russischen Wirtschaft.

Folgen für Österreich?

Welche Auswirkungen ein ökonomischer Konflikt auf Österreich hätte, lässt sich momentan schwer sagen. Jene EU-Sanktionen, die bis gestern im Gespräch waren, würden die heimische Wirtschaft größtenteils verschonen – die russischen Banken emittieren ihre Schuldscheine vor allem in London und nicht in Wien, und auch ein Waffenembargo wäre kein Problem. Inwieweit Exportverbote von Dual-Use-Produkten österreichische Firmen treffen würden, wird erst dann ersichtlich sein, wenn die konkrete Verbotsliste vorliegt. Exponiert ist die heimische Wirtschaft indes, was eventuelle russische Gegenschläge anbelangt (siehe Seite 15). 2013 hatten österreichische Firmen knapp acht Mrd. Euro in Russland investiert – und diese Investitionen wären dann unter Umständen in Gefahr.

Moskau hatte zuletzt betont unbeeindruckt auf die Androhung neuer Sanktionen aus Brüssel und Washington reagiert. Stets hieß es, man behalte sich Gegenmaßnahmen vor. Dies hielt russische Behörden jedoch nicht davon ab, Handelsschranken gegen ausländische Produkte zu errichten. Offiziell ist jedoch nicht von Sanktionen die Rede, sondern von gesundheitlichen Risken für die Bevölkerung. Zu Wochenbeginn trat etwa ein Importverbot für Milchprodukte aus der Ukraine in Kraft. Laut der zuständigen Aufsichtsbehörde sind davon in erster Linie Käsesorten betroffen, deren Produktionsprozess Palmöl unbekannter Herkunft und Qualität enthält. Am Dienstag wurde zudem der Import ukrainischer Früchte, Gemüse und Fisch ausgesetzt. Ins Visier der Behörden ist auch McDonald's geraten. Der US-Kette wird vorgeworfen, falsche Angaben über den Inhalt ihrer Burger gemacht zu haben, weshalb ein Verfahren eröffnet wurde. Nun prüfen die Aufsichtsbehörden ausländische Käsezulieferungen auf Antibiotika-Spuren.

Am Dienstag hat auch die Staatsduma reagiert und über die Einführung des Begriffs „Aggressor-Staat“ in die russische Gesetzgebung diskutiert. Die russische Regierung soll künftig eine Liste derjenigen Staaten erstellen, die Sanktionen gegen Russland ergriffen haben. Bürger und Unternehmen aus „Aggressor-Staaten“ dürften künftig dann nicht mehr als Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer in Russland arbeiten. Den Initianten des Gesetzes zufolge zielt dieses auf Branchenriesen wie KPMG, Deloitte und McKinsey ab.

Offiziell heißt es jedoch, Moskau wolle nüchtern reagieren und nicht nach dem Prinzip „wie du mir, so ich dir“, sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow. Bei den Russen selbst ist die Reaktion auf neue Strafmaßnahmen verhalten. In einer aktuellen Umfrage des Levada-Zentrums geben 43 Prozent an, deswegen nicht beunruhigt zu sein.

AUF EINEN BLICK

Nach Berechnungen der EU-Kommission wird ein Wirtschaftskrieg mit Russland die EU im laufenden Jahr mit 40 Milliarden Euro belasten – das entspricht 0,3 Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung. Die Kosten für die russische Wirtschaft sollen demnach mit 23 Milliarden Euro niedriger ausfallen. In Relation zum BIP ist der Schaden allerdings größer, denn er macht 1,5Prozent der russischen Wirtschaftsleistung aus. Sollte der Konflikt auch 2015 andauern, werden die europäischen Sanktionen Russland geschätzte 75Milliarden Euro kosten – das entspricht knapp fünf Prozent des russischen BIPs.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.07.2014)

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