Moskau-kritischer Marsch verboten

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Behörden untersagten Politkunstaktion für mehr Unabhängigkeit der Region. Moskau versuchte jegliche Berichterstattung der Medien zu verhindern.

Moskau. „Mehr Autonomie für Sibirien!“ Ist diese Parole eine Parodie, Provokation oder doch echtes politisches Bestreben nach mehr Eigenständigkeit? Als Bewohner Sibiriens sei der „Marsch für eine Föderalisierung Sibiriens“ für ihn der Versuch, die Frage nach einer Zukunft der Region zu formulieren, schreibt Artjom Loskustow. Der 28-Jährige aus Nowosibirsk ist Künstler und Mitorganisator des Marschs, der mehr Unabhängigkeit von Moskau für den riesigen Landesteil fordert.

Ob Loskustow die ursprünglich für den 17.August angesetzte Kundgebung eher als Kunstaktion sieht oder damit doch reale politische Ziele verfolgt, lässt er offen. Für Mehrdeutigkeit haben die russischen Behörden jedoch keinen Sinn. Sie haben die in Nowosibirsk geplante Kundgebung verboten. Um „die Stabilität der verfassungsmäßigen Ordnung, territoriale Integrität und Souveränität Russlands sicherzustellen“, lautet die offizielle Begründung der Behörden der drittgrößten Stadt des Landes und „Hauptstadt“ Sibiriens.

Die harsche Reaktion der Behörden zeigt, dass Moskau Föderalisierung innerhalb der eigenen Staatsgrenze doch ganz anders interpretiert als im Fall der Ostukraine. Mit großer Vehemenz fordert das offizielle Russland seit Monaten mehr Kompetenzen für die Regionen im Osten seines Nachbarlandes ein.

Onlineportale zensiert

Unter Ausschöpfung aller Gesetze versuchte Moskau in den vergangenen Tagen zudem, die Berichterstattung über den Marsch zu verhindern. Insgesamt 14 verschiedene Onlineportale wurden von der zuständigen Aufsichtsbehörde Roskomnadsor aufgefordert, bereits publizierte Artikel wieder vom Netz zu nehmen. Davon betroffen sind renommierte Medien wie das unabhängige Newsportal slon.ru. Der Öffentlichkeit werde auf der Seite Material zugänglich gemacht, mit dem zu Massenveranstaltungen aufgerufen werde, die die gesetzliche Ordnung stören, erklärte Roskomnadsor. In einem Interview mit slon.ru beklagt Loskustow, Sibirien liefere seine ganzen Ressourcen nach Moskau ab und bekäme dafür einzig eine Flut idiotischer Gesetze.

Internetgesetz verschärft

Dem russischen Dienst der BBC drohte die Aufsichtsbehörde sogar mit der Schließung der gesamten Internetseite. Der Vorwurf: Verletzung des Extremismusgesetzes. In einem Beitrag hatte der Künstler erklärt, schon der Name seiner Veranstaltung beziehe sich auf die Vorgänge in der Ostukraine. „In russischen Medien und in der russischen Propaganda werden diese als Föderalisierung bezeichnet“, so Loskustow auf die Frage des Moderators. Am Mittwoch war der Interviewmitschnitt jedoch immer noch auf der BBC-Seite zu finden. Man habe auch nicht die Absicht, diesen zu löschen, einzig der Zusatztext auf der Homepage sei geändert worden, teilte BBC Russland mit.

Die Lust an der Provokation Loskustows ist klar. Ernsthafte Sorgen müsste sich Russland über den geplanten „Marsch zur Föderalisierung Sibiriens“ freilich keine machen. Gegen die Politik des Kremls regt sich kaum Opposition, Präsident Wladimir Putin sitzt fest im Sattel, seine Zustimmungsrate beläuft sich laut dem Umfrageinstitut Lewada seit März konstant auf über 80 Prozent. Trotzdem wurden die Gesetze für die Zivilgesellschaft seit Putins Rückkehr an die Macht vor zwei Jahren kontinuierlich verschärft. Seit Februar 2014 können etwa Internetseiten, die „Extremismus“ propagieren oder zur Teilnahme an nicht genehmigten Veranstaltungen aufrufen, ohne richterlichen Entscheid gesperrt werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.08.2014)

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