Maidan: Kiews Protestlager muss dem Alltag weichen

Frewillige packten am Wochenende mit an, um die Barrikaden zu räumen
Frewillige packten am Wochenende mit an, um die Barrikaden zu räumenJutta Sommerbauer
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Im Kiewer Zentrum ist der zentrale Boulevard ab Montag wieder für Autos befahrbar. Die Dauer-Protestierer sind nach langen Verhandlungen gewichen.

Auch wenn einige der Umstehenden mit dem Ausruf „Schande!" seine Rede stören, Vitali Klitschko hat an diesem Tag einen Teilsieg errungen. Es war kein Sieg wie früher im Ring, wo er seine Gegner mit einem überraschenden Fausthieb ausschaltete, es war ein mühsamer, langwieriger und alles andere als heldenhafter Sieg, errungen durch Reden, Reden und nochmals Reden.

Der Kiewer Bürgermeister, der am Samstag trotz der Hitze in dunklen Jeans und einem schwarz-weiß karierten Hemd steckt, hatte seinen Wählern im Frühling versprochen, dass das Zeltlager am Maidan abgebaut wird. Jetzt ist es immer noch da, ein lebendiges, aber auch zunehmend verwahrlostes Museum des Bürgeraufstands gegen das Regime von Expräsident Viktor Janukowitsch.

Die Forderungen des Maidan, der im vergangenen November als Protestlager entstand, seien schließlich erfüllt worden, sagt Klitschko: Janukowitsch ist aus dem Amt, es gibt einen neuen Präsidenten, im Herbst soll eine vorgezogene Parlamentswahl stattfinden. „Die Ukraine muss in die Normalität zurückfinden", ruft er von der großen Maidan-Bühne herunter. Im Osten sei Krieg, und die Ukraine brauche Stabilität. „Es gibt Kräfte, die an einer Destabilisierung Interesse haben", sagt Klitschko zweideutig. Meint er damit die Maidan-Bewohner? Alle möglichen Gerüchte kursieren. Im Publikum brandet Applaus auf, dazwischen laute Buh-Rufe.

Zusammenstöße bei erstem Räumungsversuch

Um sein Wahlversprechen umzusetzen, ist Klitschko immer wieder auf den Maidan gekommen. Er hat sich - stets umringt von einer Menschentraube - beschimpfen und belehren lassen. Denn die Dauercamper wollten nicht weichen. Am vergangenen Donnerstag kam es gar zu Ausschreitungen zwischen den Maidan-Bewohnern und der Polizei, als eine Putzbrigade einige Zelte abbauen wollte. Doch ab Montagmorgen sollen wieder Autos über den vierspurigen Kreschtschatik fahren, den zentralen Kiewer Boulevard, der den Unabhängigkeitsplatz durchschneidet. Man hat eine Einigung gefunden.

Zum von Klitschko ausgerufenen „Subbotnik" - ein freiwilliger Arbeitseinsatz am Samstag, der Begriff stammt aus dem Sowjetalltag - sind hunderte Bürger gekommen. Männer hieven mit vereinten Kräften eine kaputte Mülltonne auf eine Baggerschaufel. Zweimal fällt sie zurück auf die Straße, bis es schließlich gelingt sie abzutransportieren. Frauen säubern die Gehwege von der Ascheschicht. Andere werfen Paletten, Decken und alte Transparente auf einen Haufen. Allmählich leert sich die Protestmeile, übrig bleibt nackter, schmuckloser Asphalt.

Vielen Bürgern der ukrainischen Hauptstadt ist das Zeltlager mittlerweile ein Dorn im Auge. Klitschko sieht 80 Prozent der Bürger hinter sich. Eine Frau in blauer Bluse und Sommerrock ereifert sich über die Besetzer: „Das sind doch alles Obdachlose und Leute, die nicht arbeiten wollen", ruft sie. Die Angestellte kommt täglich über den Platz, doch abends meidet sie ihn. „Zu gefährlich." Berichte über Raub, Alkoholismus und Schlägereien sind keine Seltenheit. Bei der Durchsuchung von Zelten am Donnerstag fand das Bataillon Kiew-1, das die Putzbrigade schützte, mehrere Waffen. Während die Mehrzahl der früheren Besetzer nach Hause gegangen ist, sind viele der Verbliebenen in der Hauptstadt gestrandet. Andere sind durch die Kämpfe traumatisiert, ein paar machen einen desorientierten Eindruck.

"Sowjetisches Erbe noch nicht abgeschüttelt"

Der 66-Jährige Nikolai, seinen Nachnamen will er nicht verraten, ist einer, der die Ziele des Maidan weiter verteidigen will. Auch gegen Klitschko. Sein Misstrauen gegen die neuen Politiker ist groß, er wirft ihnen vor in Sachen Lustration nichts zu unternehmen. „Das sowjetische Erbe ist noch nicht abgeschüttelt", sagt er. Den Maidan sieht er als Kontrollinstanz, als Hüter des Erbes der Revolution.

Ein Mitarbeiter der Städtischen Militärkommission, die am Maidan ihr Informationszelt für den „Antiterroreinsatz" im Osten aufgebaut hat, beäugt die Bewohner der umliegenden Zelte kritisch: „Die Mehrheit der wirklichen Maidan-Patrioten kämpft bereits in der Ostukraine", sagt er. Als Soldaten in den neu gegründeten Freiwilligenbataillonen. Der Mann im Flecktarn steht vor einem dunkelgrünen Armeezelt, aus einem Lautsprecher tönt Marschmusik. Hier können sich Interessierte über die Einberufung in die Armee oder Nationalgarde beraten lassen. Doch das Interesse der Maidan-Aktivisten hält sich in Grenzen, das Zelt des Militärs ist verwaist. Für die Dauerdemonstranten ist es seit dem Wochenende enger geworden, doch ganz aufgeben wollen sie den Maidan noch nicht.

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