Libyen: „Diese Menschen sind ohne jeden Schutz“

In Libyen stranden zahlreiche Menschen aus anderen afrikanischen Ländern.
In Libyen stranden zahlreiche Menschen aus anderen afrikanischen Ländern.EPA
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Tausende Flüchtlinge versuchen, über die Küsten des nordafrikanischen Landes nach Europa zu gelangen. Doch für viele dieser Menschen wird Libyen zur Endstation. Sie verschwinden dort in einem der vielen Gefängnisse.

Tripolis. Die Männer sitzen auf dem Boden eines großen Raumes. Sie wirken angespannt, schauen immer wieder in Richtung ihrer libyschen Bewacher. „Wir sind aus Bangladesch hierhergekommen, um in Libyen zu arbeiten“, beteuert Abdulhalim. Der junge Bangladescher spricht für seine Gruppe aus 73 Männern, die hier in einer Milizenbasis in der libyschen Hauptstadt Tripolis festgehalten wird. Die Leute aus Bangladesch hatten alle zusammen in einem Haus im Stadtteil Janzour gewohnt. Das kam einer der Milizen des Viertels verdächtig vor. Kurzerhand verhafteten sie die Bangladescher und den Libyer, der ihnen das Haus vermietet hatte.

Nachdem ein Freund mit Beziehungen zu den Milizionären für den Vermieter interveniert hatte, wurde dieser freigelassen. Und auch die Männer aus Bangladesch sollen bald wieder gehen dürfen. Denn 73 Gefangene zu verköstigen ist für die bewaffnete Gruppe kostspielig. Man werde noch die Papiere der Bangladescher überprüfen, sagt einer der Milizionäre. „Wenn alles in Ordnung ist, kommen sie frei.“ Mit ernster Miene fügt er hinzu: „Sie haben versprochen, dass sie in Libyen bleiben werden, um zu arbeiten. Sie wollen nicht illegal nach Europa.“

Ob dieses Argument tatsächlich für den Milizionär eine Rolle bei der Frage spielt, wer freigelassen wird und wer nicht? Oder ob er es extra gegenüber dem europäischen Besucher vorgebracht hat, um zu signalisieren: Wir tun alles, um illegale Einwanderung nach Europa zu stoppen? Fest steht: Die bewaffneten Gruppen scheinen ihre Vorstellungen davon zu haben, was man in der EU von ihnen erwartet.

Überfahrt in alten Booten

Schon zu den Zeiten des 2011 gestürzten Machthabers Muammar al-Gaddafi hatten EU-Staaten wie Italien Abkommen mit Tripolis geschlossen. Libyens Diktator spielte den unerbittlichen Wächter an Europas südlicher Außengrenze, der verhindern sollte, dass Menschen von hier in die EU gelangten.

Und auch die neue Regierung Libyens hat der EU versprochen, die illegale Migration zu unterbinden. Doch die Schleusung von Flüchtlingen ist für einige Libyer ein gutes Geschäft. Tausende Menschen nehmen in alten Booten die gefährliche Überfahrt über das Mittelmeer auf sich. Und viele der Flüchtlinge bezahlen die Hoffnung auf Sicherheit und eine bessere Zukunft mit dem Leben.

Auf die, die zurückbleiben, warten oft Gefängnis und Misshandlungen. Etwa 7000 Migranten sind derzeit laut Innenministerium in Tripolis eingesperrt. Das sind nur die offiziellen Zahlen. Denn so wie die Miliz aus Janzour unterhalten die unzähligen bewaffneten Gruppen noch ihre eigenen Gefängnisse.

Die 73 Männer aus Bangladesch, die von der Miliz aus Janzour festgehalten werden, hatten Glück. Sie weisen auf den ersten Blick keine Spuren von Folter auf, scheinen weitgehend korrekt behandelt worden zu sein. Das ist keineswegs selbstverständlich.

„Viele der Migranten werden unter sehr schlechten Bedingungen festgehalten. In den libyschen Gefängnissen kommt es nach wie vor zu systematischen Misshandlungen“, berichtet Hanan Salah von Human Rights Watch (HWR). Die Menschenrechtsexpertin besucht regelmäßig libysche Haftanstalten, um die Zustände dort in Augenschein zu nehmen.

Kein Recht auf Asyl

Die Migranten, die in Libyen stranden, kommen vor allem aus Westafrika, dem Bürgerkriegsland Somalia oder aus Eritrea, wo ein besonders repressives Regime herrscht. Und auch immer mehr Syrer finden den Weg in das nordafrikanische Land. „Diese Menschen haben hier einen sehr problematischen Status. Sie sind ohne jeden Schutz“, sagt Salah. Libyen erkennt die Genfer Flüchtlingskonvention nicht an. Deshalb kann man in dem Land keine Asylanträge stellen. Migranten werden abgeschoben, verschwinden in Gefängnissen oder enden auf der Straße. Einige finden Arbeit. Doch wenn der Arbeitgeber nicht zahlen will, haben sie keine Handhabe, um ihren Lohn einzufordern.

Vor diesem Problem könnten auch die 73 Männer aus Bangladesch stehen, wenn sie nach ihrer Freilassung nach Jobs suchen werden. Immer mit der Angst im Nacken, erneut verhaftet zu werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2014)

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