Der Kampf um einen Waffenstillstand

Germany´s Chancellor Merkel and Ukraine´s President Poroshenko speak during their meeting in Kiev
Germany´s Chancellor Merkel and Ukraine´s President Poroshenko speak during their meeting in Kiev(c) REUTERS (POOL)
  • Drucken

Im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine versuchte die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, in Kiew die Weichen für eine Verhandlungslösung zu stellen. Doch auch Berlins Engagement wird mit Skepsis betrachtet.

Das Kiew, das Kanzlerin Angela Merkel gestern zu Gesicht bekam, sollte keinen Zweifel am Patriotismus der Ukrainer lassen. Am „Tag der Staatsflagge“, den die Ukraine am 23. August, einen Tag vor dem heutigen Unabhängigkeitstag begeht, dominierten in der Hauptstadt die Farben der Nationalfahne: Gelb wie die Kornfelder, Blau wie der Himmel, wie man sagt.

Die nationale Einheit wird dieser Tage in der Ukraine intensiv beschworen. Insbesondere im Osten des Landes, in jenen Städten und Dörfern, die die ukrainische Armee in den vergangenen Wochen von den prorussischen Separatisten zurückerobert hat: Während in Donezk und Lugansk am Samstag Artilleriegefechte andauerten, wurden im nahen Slawjansk und Sewerodonezk gelb-blaue Fahnen gehisst.

Nationale Einheit und territoriale Integrität waren auch die Themen, die Merkel nach Kiew geführt hatten. Es war ihr erster Besuch seit Beginn der Krise Ende vergangenen Jahres. Merkel traf zu Gesprächen mit Präsident Petro Poroschenko, Regierungsmitgliedern und dem Kiewer Bürgermeister, Vitali Klitschko, zusammen. Sie wolle mit Poroschenko über den „Weg zum Frieden reden, der gefunden werden muss“, sagte Merkel. Auch deutsche Finanzhilfen in Millionenhöhe für die Ukraine standen auf dem Programm. Poroschenko sprach hymnisch von einem „Merkel-Plan für den Wiederaufbau des Donbass“.


Gerüchte über Geheimplan. Merkels Visite war vordergründig ein Unterstützungsbesuch für die neue Kiewer Führung. Doch die Kanzlerin wollte auch auf Poroschenko einwirken, nächste Woche bei dem Treffen mit dem russischen Präsidenten, Wladimir Putin, versöhnlichere Töne anzuschlagen. Die Kanzlerin formulierte einen „zweiseitigen Waffenstillstand“ als Ziel.

Auch Russland will zunächst einen Waffenstillstand, während die Priorität der Ukraine ist, die Grenze abzuriegeln– um die Versorgung der Separatisten von russischem Territorium aus zu unterbinden. Friede könne schnell erreicht werden, wenn der Nachschub ausländischer Kämpfer gestoppt werde, sagte Poroschenko. Kiew fürchtet, dass die Separatisten eine Waffenruhe zur Aufrüstung nutzen könnten. Die Armee braucht – angesichts der seit Monaten laufenden Kampagne und der nahenden Parlamentswahlen – einen militärischen Erfolg: die Einnahme einer der umzingelten Städte. Allerdings hat man mit erbitterter Gegenwehr zu kämpfen. Umgekehrt scheint es wenig wahrscheinlich, dass Moskau eine vollständige Niederlage der Separatisten zulassen wird. Die Nato beschuldigte Moskau, die Separatisten mit Artilleriefeuer jenseits und diesseits der Grenze zu unterstützen.

Merkels Initiative wird in Kiew durchaus skeptisch beäugt. Die Angst vor einem Geheimdeal zwischen Berlin und Moskau – die britische Zeitung „Independent“ hat darüber berichtet – ist groß. Der Plan sieht angeblich eine Autonomie für die Ostukraine sowie eine Zusicherung der Bündnisfreiheit durch die Ukraine vor. Im Gegenzug solle Moskau der Ukraine ein langfristiges Gasabkommen versprechen und Entschädigung – als Ersatz für den Verlust der Krim – zahlen.

Wie explosiv die Stimmung zwischen Kiew und Moskau ist, hat nicht zuletzt der Streit um den russischen Konvoi illustriert. Während Moskau von humanitärer Hilfe sprach, befürchtete Kiew Waffenlieferungen an die Separatisten oder den Vorwand für eine Militärintervention, sollte der Konvoi etwa beschossen werden. Letztendlich passierte gar nichts. Die Lastwagen kehrten nach Angaben der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) aus der Ukraine nach Russland zurück. Russland hatte am Freitagvormittag die seit Tagen an der Grenze wartenden weiß lackierten Lkw ohne das Einverständnis Kiews und des Roten Kreuzes in die Stadt Luhansk geschickt und dort 227 Laster entladen.

Kiew warf Moskau vor, in den zurückkehrenden Lastwagen des Hilfskonvois Produktionsanlagen nach Russland geschmuggelt zu haben. Aus einer Rüstungsfabrik in Luhansk seien Radargeräte verschwunden, sagte Andrej Lyssenko vom Sicherheitsrat. Moskau wies dies zurück: Die Lastwagen stünden an der Grenze, jeder könne sich davon überzeugen, dass sie leer seien.

Berlins Zusagen

Kanzlerin Merkelsagte bei ihrer Visite in Kiew deutsche Kreditbürgschaften in der Höhe von 500Millionen Euro zu. Dieser „Garantierahmen“ solle helfen, private Investitionen für die Infrastruktur zu ermöglichen.

Zusätzliche 25 Mio. Euro sind für den Bau von Unterkünften für Flüchtlinge vorgesehen. Die UNO geht von mehr als 400.000 Flüchtlingen in der Ukraine aus. Zudem sollen 20 im Kampf verwundete Soldaten auf deutsche Kosten behandelt werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.08.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.