Ungarn: Breite Sehnsucht nach dem Kommunismus

(c) AP (Lajos Nagy)
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Die Mehrheit der Magyaren hält die Kádár-Ära des „Gulasch-Kommunismus“ für die beste Zeit des Landes.

BUDAPEST/WIEN (p. m.). Ungarn erlebte in den vergangenen 90 Jahren serienweise Katastrophen: Zerstückelung nach dem Ersten Weltkrieg, Polarisierung unter Reichsverweser Horthy samt Wirtschaftskrise, Kriegseintritt, Pfeilkreuzler-Terror und KP-Diktatur. Aber auch die Wende 1989, die Demokratisierung und der EU-Beitritt werden von der Mehrheit negativ gesehen. Zumindest bezeichnet sie nicht die Gegenwart als die glücklichste Zeit, sondern die Kádár-Ära.

Nicht weniger als 62 Prozent der vom Marktforschungsinstitut GfK Hungária befragten 1000 Ungarn nannten das im Westen als „Gulaschkommunismus“ verharmloste System die beste Zeit des Landes. Und noch ärger: Die Zahl der KP-Nostalgiker hat weiter zugenommen. In der Befragung 2001 hatten erst 53 Prozent für Kádár votiert.

Mindestsicherung entscheidend

Die jetzige Verschlechterung der Wirtschaftslage wirkt sich direkt auf das Urteil aus, das wird bei der Bewertung der Zeit seit der Wende 1989 klar: Wurde diese 2001 von 17 Prozent der Befragten als glücklichste Phase der ungarischen Geschichte genannt, finden das heuer nur noch 14 Prozent.

Was die Kádár-Ära betrifft, so scheint das damit verbundene Glücksgefühl nicht auf Hörensagen und auch nicht unbedingt auf Nostalgie zurückzuführen zu sein, sondern auf die Tatsache, dass damals eine Mindestsicherung gegeben war. Am höchsten ist die Zustimmung mit vier Fünftel bei den über 50-Jährigen, die das System erlebt haben. Unter den 30- bis 39-Jährigen, die vor der Wende Kinder oder Jugendliche waren, bezeichnen immerhin 55 Prozent jene Zeit als die glücklichste.

Analog dazu gibt es die höchste Zustimmung zur Gegenwart unter den 15- bis 29-Jährigen. Aber sehr glücklich sind wohl auch sie nicht: Nur 24 Prozent nennen sie die glücklichste Zeit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2008)

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