Russen sehen ihr Land als humanitären Friedensstifter

Ukrainian servicemen ride in an armoured vehicle near Debaltseve
Ukrainian servicemen ride in an armoured vehicle near Debaltseve(c) REUTERS (GLEB GARANICH)
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75 Prozent der Russen sind überzeugt, ihr Land trage keine Schuld am Blutvergießen in der Ostukraine.

Mit Unverständnis reagieren derzeit viele Russen auf die Vorgänge in der Ukraine. „Russland will den Menschen im Donbass helfen. Wir schicken doch sogar humanitäre Unterstützung“, sagt Natascha. Dafür werde man nun vom Westen als Kriegstreiber beschimpft. Auch wenn sie die prorussischen Separatisten nicht unterstützt, findet die 46-jährige Bankangestellte aus Moskau harte Worte für Kiew: „Für den Sieg nehmen sie den Tod friedlicher Menschen in Kauf“, damit seien sie auch nicht besser als die Terroristen, gegen die sie kämpfen. Berichte aus der Ostukraine mag sie sich nicht mehr anschauen. Die Bilder über das Elend der Menschen in den umkämpften Städten Donezk und Luhansk würden ihr zu sehr aufs Gemüt schlagen.

Das Schicksal der Zivilbevölkerung in der Ostukraine dominiert in Russland derzeit die meisten Diskussionen. Seit geraumer Zeit positioniert sich Moskaus Führung als humanitärer Akteur und Friedensstifter, kräftig unterstützt von den staatlichen Medienkanälen. „Wissen Sie, was das Schlimmste ist? In der Ukraine finden die Flüchtlinge keinen Platz. Die schicken ihre eigenen Leute wieder weg. Sie können ja nur zu uns kommen“, sagt Oksana, eine rüstige Mittfünfzigerin, die Getränke an einem Moskauer Straßenkiosk verkauft.

Kritik am Kurs des Kreml wird nur von einer Minderheit geäußert. Man müsse der Zivilbevölkerung doch helfen, sie gegen die ukrainische Armee unterstützen, ist die breite Ansicht. 75 Prozent sind der Meinung, Russland trage keine Schuld am Blutvergießen, das geht aus einer Umfrage hervor, die das Levada-Zentrum am Freitag veröffentlichte. Ob Moskau die Separatisten nun tatsächlich unterstützt, sind sich die Befragten jedoch uneins: 32 Prozent sehen eine Einmischung Russlands, fast genauso viel (31%) können dagegen keine feststellen. 41 Prozent orteten keine Anzeichen dafür, das reguläre russische Truppen in nächster Zeit auf das Territorium der Ukraine geschickt werden könnten.

Freilich mehren sich Hinweise, dass sich russische Soldaten an den Kämpfen beteiligen. Alexander Sachartschenko, Premier der selbst ernannten „Volksrepublik Donezk“, sprach von 3000 bis 4000, die ihren Urlaub in den Reihen der Separatisten verbringen würden, die Nato von mehr als 1000 russischen Armeeangehörigen, die auf ukrainischem Territorium operieren.

Berichte über gefallene Soldaten.
Der Kreml-kritische TV-Sender Doshd hat nun ein Interview mit neun Fallschirmjägern veröffentlicht, die von der ukrainischen Armee gefangen genommen wurden. „Wir führten eine taktische Übung im Gebiet Rostow durch, erst als wir verhaftet wurden, sagten sie uns, dass wir in der Ukraine seien“, lautet die doch etwas naive Erklärung der Männer, die sich nun in einem Kiewer Untersuchungsgefängnis befinden. Keiner wolle Krieg, 90 Prozent der Truppe würden desertieren, falls sie den direkten Befehl zum Einmarsch auf ukrainisches Territorium erhalten würden, gaben sich die Männer überzeugt.

Unabhängige Journalisten berichten jedoch auch von Todesfällen russischer Soldaten in der Ukraine. Etwa zehn sollen es bisher sein, mehrere Begräbnisse fanden in aller Stille in den vergangenen Tagen statt. Die Familienangehörigen erhalten keine Informationen. Immer mehr Eltern berichten, dass sie ihre Söhne telefonisch nicht mehr erreichen. Ella Poljakowa, Vorsitzende des Komitees der Soldatenmütter und Mitglied im russischen Menschenrechtsrat, hat von den Behörden Aufklärung verlangt. Moskau reagierte scharf: Das Justizministerium stufte die Soldatenmütter von St. Petersburg als „ausländische Agenten“ ein.

Lew Schlosberg, Abgeordneter der oppositionellen Jabloko-Partei, besuchte ein Begräbnis eines Soldaten aus Pskow, der offenbar in der Ukraine gefallen war. Daraufhin schlugen ihn drei Unbekannte krankenhausreif. Seinen Recherchen zufolge kämpfen etwa 100 Soldaten aus der Region Pskow im Nachbarland.

Zu erwarten ist, dass selbst Berichte über gefangene oder gefallene Soldaten in der russischen Gesellschaft kaum Gehör finden. Die einzige Quelle für derartige Nachrichten sind oppositionsnahe kritische Medien. TV Doshd etwa kann aber nur via Internet und Satelliten empfangen werden und verfügt über eine Reichweite von wenigen Prozent. In staatlichen Medien, über die sich laut Levada-Umfrage 93 Prozent aller Russen über die Ukraine informieren, wird darüber kein Wort verloren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.08.2014)

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