Kosovo: Das „Baby“ lebt, Geburtshelfer sind verärgert

(c) EPA (Valdrin Xhemaj)
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Das neue Land kämpft mit Problemen, aber die Horrorszenarien traten – bisher – nicht ein.

Hundert Tage ist das Baby „Kosovo“ alt. Und die befürchteten Kinderkrankheiten sind bisher ausgeblieben. Vor Unruhen, Chaos und einer gewaltigen Flüchtlingswelle war gewarnt worden. Doch diese düsteren Prophezeiungen sind – zumindest bisher – nicht eingetreten. Eigentlich Grund genug für die Regierung des Kosovo und ihre Unterstützer, mit Freude der Geburt des neuen Staates vor 100 Tagen zu gedenken.

Doch glaubt man einer kosovarischen Tageszeitung, sind nicht alle Geburtshelfer in Feierstimmung: Die Verantwortlichen im Kosovo hätten zu wenig für eine breite internationale Anerkennung ihres Staates getan, soll die hochrangige US-Diplomatin, Rosemary Di Carlo, bei ihrem jüngsten Besuch in Prishtina kritisiert haben. Schreibt zumindest „Koha Ditore“. Stimmt nicht, heißt es nun in der US-Botschaft im Kosovo. Eines ist jedenfalls klar: Die Zahl der Länder, die den Kosovo bisher anerkannt haben, nimmt sich bescheidener aus als ursprünglich erhofft. Eine Zwischenbilanz:

Internationale Anerkennung. 41 Länder haben bisher akzeptiert, dass der Kosovo ein eigenständiger Staat ist – darunter die USA und wichtige EU-Mitglieder wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Auch Österreich hat den Kosovo anerkannt. Innerhalb der Europäischen Union herrscht in der Frage aber nach wie vor keine Geschlossenheit: Spanien, Rumänien und Griechenland verwehren sich weiterhin gegen die Eigenstaatlichkeit des Kosovo.

Auch Russland will davon nichts wissen. Solange Widerstand aus Moskau kommt, kann der Kosovo aber nicht Mitglied der Vereinten Nationen werden.

Weltweiter Schneeballeffekt. Gegner einer Unabhängigkeit des Kosovo hatten stets davor gewarnt, dass diese eine „negative Vorbildwirkung“ für andere Völker und Gruppen mit sezessionistischen Bestrebungen haben werde. Zu einer Welle neuer Staatenbildungen kam es bisher freilich nicht. Denn um erfolgreich einen eigenen Staat auszurufen, braucht es ja immer die Hilfe anderer mächtiger Länder.

Die Basken in Spanien haben ihre Forderung nach einem Unabhängigkeitsreferendum aber bereits mit der Eigenstaatlichkeit des Kosovo begründet. Und Russland hat – wie angedroht – seine Unterstützung für die abtrünnigen georgischen Landesteile Abchasien und Südossetien verstärkt.

Auswirkungen auf Serbien. Allgemein war befürchtet worden, dass eine Abspaltung des Kosovo zu neuen nationalistischen Aufwallungen in Serbien führen werde. Zwar kam es kurz nach der Unabhängigkeitserklärung in Prishtina zu gewalttätigen Demonstrationen in Belgrad. Seither ist es aber ruhig. Auch der erwartete Wahlsieg der serbischen Ultranationalisten blieb aus.


Sicherheitslage. Im März tobten schwere Ausschreitungen in Mitrovica im Nordkosovo. Die Straßenschlachten zeigten, wie explosiv die Lage ist. Zwar hat sich die Situation seither entspannt. Neue Unruhen können aber jederzeit wieder ausbrechen – etwa rund um das Inkrafttreten der neuen Verfassung am 15. Juni. Weder die Kosovo-Behörden noch die internationale Mission scheinen derzeit in der Lage, die Kontrolle über den serbisch kontrollierten Norden des Kosovo rund um Mitrovica herstellen zu können. Damit ist der Kosovo de facto geteilt.

Zu der befürchteten Massenflucht der verbliebenen Kosovo-Serben kam es bisher nicht. Die Serben in den südlich gelegenen Enklaven scheinen sogar – entgegen der Anweisungen Belgrads – zu einer Kooperation mit der neuen Kosovo-Regierung bereit.

WHO IS WHO IM KOSOVO

Unmik, die UN-Zivilverwaltung, amtiert seit 1999. Per 15. Juni sollte sie ihre Zuständig-keiten an die Kosovo-Regierung und Eulex, die Polizei- und Rechtsstaatsmission der EU, übertragen (Chef: Yves de Kermabon). Hüter der „überwachten Unabhängigkeit“ soll der Internationale Zivile Repräsentant sein, der Niederländer Pieter Feith. Für sein Amt und die Eulex gibt es aber noch keine international akzeptierte Rechtsgrundlage. Unbestritten ist die militärische Präsenz der Nato-geführten Kfor mit 16.000 Mann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.05.2008)

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