Schicksal von David Cameron in Händen der Schotten

A 'Yes' sticker is seen on the back of a man's head at a pro-independence rally in Glasgow, Scotland
A 'Yes' sticker is seen on the back of a man's head at a pro-independence rally in Glasgow, ScotlandReuters
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Der Premier und auch Oppositionschef Miliband würden Unabhängigkeitsvotum kaum überstehen.

Edinburgh/London. Während in Schottland noch um jede Stimme gekämpft wird, hat in London bereits das große Messerwetzen begonnen. Im Fall eines Unabhängigkeitsvotums bei der Volksabstimmung am Donnerstag drohen Abgeordnete mit „Konsequenzen aus der Katastrophe“.

Sowohl Premierminister David Cameron als auch Oppositionschef Ed Miliband müssten angesichts von „Fluten des Zorns“, wie es ein namentlich nicht genannter Konservativer sagte, um ihre politische Zukunft bangen. Ein Ex-Minister: „Ein Ja wäre absolut verheerend und würde uns ins Chaos stürzen.“

Knappe Umfragewerte

Hoffnung, dass es dazu nicht kommen wird, gab am Sonntag eine Umfrage der Sonntagszeitung „Observer“, die eine Ablehnung der Abspaltung Schottlands von Großbritannien mit 53 zu 47 Prozent zeigte. Nur mehr drei Prozent der Schotten sind demnach unentschlossen. Der frühere britische Schatzkanzler Alistair Darling als Anführer des „Better Together“-Lagers meinte: „Wir werden gewinnen.“ Der schottische Regierungschef und Anführer der Unabhängigkeitsbewegung, Alex Salmond, sagte hingegen: „Nein-Stimmen von heute sind nur Ja-Wähler von morgen.“

Salmond hat nie einen Zweifel gelassen, dass er die Unabhängigkeit Schottlands für unausweichlich hält. Kommt es dazu bei der Volksabstimmung am Donnerstag, geht Cameron als jener Londoner Regierungschef in die Geschichte ein, der nach 307 Jahren „das Vereinigte Königreich verloren hat“, wie der führende Verfassungsrechtler Vernon Bodganor meint, bei dem Cameron einst in Oxford studierte.

Obwohl der Premier einen Rücktritt bei einer Niederlage in der Volksabstimmung kategorisch ausgeschlossen hat („Es geht um Schottland und die Union, nicht um mich“), könnte es für ihn eng werden: Nur 15 Prozent der Tory-Hinterbänkler (aktuell 46 Abgeordnete) reichen, um ein Misstrauensvotum zu erzwingen. Hinter den Kulissen wird bereits heftig agitiert. „Cameron hätte keinerlei Glaubwürdigkeit mehr“, sagt ein Abgeordneter, und daher „könnte er sich zum Rücktritt gezwungen sehen“. Nicht zu übersehen ist auch, dass sich der Londoner Bürgermeister, Boris Johnson, in (Lauer-)Stellung begeben hat.

Zwar „gibt es keine Bestimmung in der Verfassung, die Cameron zu einem Rückzug zwingen könnte“, wie der Politikprofessor Michael Kenny zur „Presse“ sagt. Allerdings könnte eine Abspaltung Schottlands als „Zündschnur“ fungieren, denn die Liste der Vorwürfe gegen Cameron sei lang. In der Partei (und darüber hinaus) mehrt sich in den letzten Tagen die Kritik (etwa von Johnson), wie das Unionslager die Volksabstimmung allzu lange mit einer Mischung aus Siegesgewissheit und Sorglosigkeit falsch eingeschätzt hat. Schon die Zustimmung zu der Frage „Stimmen Sie zu, dass Schottland ein unabhängiger Staat sein soll?“, habe den Separatisten den Vorteil eines positiven Ja-Votums eingeräumt, während die Anhänger der Union als griesgrämige Nein-Sager dastanden.

Entsprechend führten die beiden Lager auch ihre Kampagnen. Im Rückblick versteht heute niemand, warum Cameron bei der Einigung auf ein Referendum vor zwei Jahren nicht auf der Frage bestand: „Stimmen Sie zu, dass Schottland ein Teil des Vereinigten Königreichs bleiben soll?“

Größte Verfassungskrise in 300 Jahren

Das mangelnde Interesse an Details und das Ignorieren kritischer Stimmen werden Cameron bereits in vielen anderen Fragen vorgeworfen. Unvergessen sind die Syrien-Abstimmungsniederlage vor einem Jahr oder kürzlich das Debakel um die Bestellung von Jean-Claude Juncker zum EU-Kommissionspräsidenten.

Dennoch könnte Cameron paradoxerweise gerade wegen der Krise um Schottland im Amt bleiben. „Wir bräuchten eine Regierung, die sofort Verhandlungen mit Edinburgh führen kann“, meint Kenny. Zudem würde ein „Ja“ der Schotten wahrscheinlich Oppositionschef Ed Miliband das Amt kosten, denn in der Volksabstimmung werden die schottischen Labour-Anhänger den Ausschlag geben. „Es ist absurd: Miliband versagt, und wir diskutieren über Cameron“, sagt der frühere Außenminister der Konservativen, Malcolm Rifkind. Ein führungsloses London, während Edinburgh triumphiert, möchte sich in Westminster niemand vorstellen.

Die „größte Verfassungskrise in 300 Jahren“ (so Bogdanor), die ein Austritt Schottlands aus der Union darstellen würde, wirft auch Fragen für die Unterhauswahl im Mai 2015 auf. Darf Schottland, das derzeit 59 Abgeordnete nach London entsendet, noch mitstimmen, obwohl es im März 2016 aus dem Vereinigten Königreich austreten würde? Welche Legitimität hätte eine Labour-Regierung, die sich auch auf schottische Stimmen stützte?

Umgekehrt ist damit zu rechnen, dass der schottische Nationalismus eine englische Entsprechung finden wird. Dem Beispiel der „Scottish National Party“ wird eine „English National Party“ folgen. Sie existiert bereits in Gestalt der „United Kingdom Independence Party“, deren Ziel der Austritt Großbritanniens aus der EU ist. Cameron will darüber bis Ende 2017 abstimmen lassen.

Wenn er den Rest Großbritanniens aus Europa führt, würde das sogar eine Niederlage in Schottland übertreffen. Oder um Oscar Wilde zu zitieren, der in seinem Theaterstück „The Importance of Being Earnest“ sagte: „Einen Elternteil zu verlieren, kann man ja noch als Unglück ansehen – aber gleich beide, das ist doch etwas nachlässig.“

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.09.2014)

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