Die Befürworter der schottischen Unabhängigkeit liegen vor dem heutigen Referendum mit 48% nur knapp zurück. Der Austritt aus dem Vereinigten Königreich hätte weitreichende Folgen. Ein Überblick.
Edinburgh/London. Ein Unabhängigkeitsvotum der Schotten am heutigen Donnerstag würde nicht die sofortige Ausrufung der Unabhängigkeit bedeuten. Stattdessen will dann die Führung in Edinburgh ein überparteiliches „Team Scotland“ für Verhandlungen mit der Regierung in London nominieren. Nach deren Abschluss soll am 24.März 2016 auf den Tag genau 309 Jahre nach dem Act of Union die Unabhängigkeit Schottlands proklamiert werden. Bis dahin wären noch zahlreiche Fragen zu klären. Eine Scheidung droht daher, schwierig und schmerzvoll zu werden.
Nordseeöl
Die britischen Vorräte an Öl und Gas würden nach internationaler Praxis geteilt, wobei 91 Prozent an Schottland und der Rest an England fiele. Keine Einigung besteht in der Frage, wer nach welchem Schlüssel für die demnächst anfallenden Kosten für den Abbau und die Reinigung stillgelegter Felder in der Höhe von 35 Milliarden Pfund aufkommen wird. Umstritten ist zwischen beiden Seiten auch, wie groß die Vorräte noch sind.
Staatsschulden
Die Regierung in London hat bereits klargemacht, dass ein unabhängiges Schottland einen fairen Anteil der Staatsschulden, die derzeit bei mehr als 1,3 Billionen Pfund liegen, übernehmen solle. Experten nannten 120 Milliarden Pfund als möglichen Betrag. Nationalistenführer Alex Salmond (SNP) droht, nur dann einen Anteil zu akzeptieren, wenn London im Gegenzug einer Währungsunion zustimmt. Dass er auch höhnte: „Was wollen sie schon machen, vielleicht einmarschieren?“, wurde zwar dementiert, wird aber weiter kolportiert.
Währung
Die Unabhängigkeitsanhänger wollen das britische Pfund in einer Währungsunion mit London behalten. Alle britischen Parteien lehnen das ab. An der Verwendung des Pfund kann Schottland nicht gehindert werden, die monetäre Kontrolle bliebe aber allein bei der Bank of London. Bei Einführung einer eigenen Währung drohen Schottland Abwertung und Kapitalflucht. Auch den Euro könnten die Schotten verwenden, doch das lehnt die Bevölkerung vehement ab.
Monarchie
Die schottischen Nationalisten wollen Queen Elizabeth II. als Staatsoberhaupt im Rahmen des Commonwealth behalten. Die Königin hat jede Stellungnahme zu der Volksabstimmung abgelehnt. Unstrittig ist, dass ihr Thronfolger, Charles, nicht annähernd so viel Respekt und Zustimmung genießt und Schottland dann zur Republik werden könnte. In der Vorbereitung auf die Unabhängigkeit soll auch eine schriftliche Verfassung für Schottland erarbeitet werden.
EU-Mitgliedschaft
Während die schottischen Nationalisten davon ausgehen, in 18 Monaten die EU-Mitgliedschaft geregelt zu haben, warnte der frühere Kommissionspräsident José Manuel Barroso, die EU-Mitgliedschaft Schottlands würde „extrem schwer, wenn nicht unmöglich“ werden. Sein Nachfolger, Jean-Claude Juncker, erklärte im Europaparlament, er habe dem „nichts hinzuzufügen“. Bekannt ist, dass einige europäische Staaten Angst vor einem Präzedenzfall haben.
Int. Vertretung
Mit dem Austritt Schottlands würde Großbritannien zwar nur acht Prozent seiner Bevölkerung, aber mehr als ein Drittel seines Territoriums verlieren. Der ständige Sitz im UN-Sicherheitsrat mit Veto bliebe theoretisch erhalten, doch de facto wäre Londons Gewicht massiv geschwächt. Edinburgh hat zudem bereits erklärt, dass es in allen internationalen Organisationen vertreten sein möchte, in denen derzeit Großbritannien sitzt. London hat allerdings keine Bereitschaft zu einer Übertragung erkennen lassen.
Streitkräfte
Die vier Trident-Atom-U-Boote aus dem schottischen Faslane so rasch wie möglich loszuwerden ist eines der Ziele der Unabhängigkeitsbewegung. „Das ist Sache Londons“, sagt SNP-Mann Angus Robertson auf die Frage „Wohin mit den milliardenteuren Schiffen?“. Gleichzeitig wollen die Schotten eigene Streitkräfte mit 5500 Mann aufbauen und die Mitgliedschaft in der Nato. Über die Modalitäten dafür gehen die Meinungen genauso auseinander wie in der EU-Frage.
Grenzen
Die schottischen Nationalisten reagierten empört, als Labour-Chef Ed Miliband die Einführung einer markierten Grenze mit Passkontrollen zwischen England und Schottland nicht ausschloss. Sie wollen eine freie Reisezone, wie sie auch zwischen Großbritannien und Irland besteht. Rund 850.000 Schotten leben in England sowie rund 370.000 Engländer in Schottland, und die Schaffung einer Grenze nach über 300 Jahren gemeinsamer Vergangenheit wäre psychologisch eine Niederlage. Ausgeschlossen werden kann sie aber nicht, etwa dann, wenn Schottland zur EU-Außengrenze wird.
BBC
Die Sorge um die Britisch Broadcasting Corporation (BBC) steht in vielen Umfragen ganz weit oben. Auch in der Unabhängigkeit wollen die Schotten auf „Strictly Come Dancing“, „Eastenders“ oder „Sherlock“ eben nicht verzichten. Die Nationalisten gehen weiter und wollen die BBC in Schottland aus ihren bestehenden Vermögenswerten im Land zu einer SBC umwandeln und aus der Rundfunkpflichtgebühr finanzieren. London lehnt dies strikt ab.
Flagge
Mit der Unabhängigkeit würde die blau-weiße schottische Saltire aus dem britischen Union Jack verschwinden. Das Resultat kennt man von Fußballplätzen, wenn England gegen Schottland spielt, und es sieht ziemlich traurig aus. Das beweist: Zu all dem, wo wir heute stehen, wäre es nie gekommen, hätte man einst ein gemeinsames britisches Fußballnationalteam gebildet. Wobei: Es wäre auch noch möglich, dass walisische oder nordirische Farben in den Union Jack fließen würden. Ob das besser aussähe?
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.09.2014)