Machtteilung in Kabul

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Deal für Einheitsregierung als breite Anti-Taliban-Allianz: Ashraf Ghani wird Präsident, Abdullah Abdullah Premierminister.

Wien/Kabul. Viele Afghanen hatten nicht mehr auf einen Akt der Aussöhnung und der Machtteilung gehofft, wie ihn die erbitterten Kontrahenten in einer live ausgestrahlten Zeremonie aus dem Präsidentenpalast am Sonntag demonstrativ mit einer Unterschrift und einem Handschlag besiegelten. Zu oft hatten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah in den vergangenen Monaten den zum Greifen nahen Kompromiss platzen lassen.

Dabei kursierte das Modell einer salomonischen Lösung seit Langem in Kabul: Ghani als Präsident, Abdullah in einer neuen Funktion als eine Art Premierminister in einer Regierung der nationalen Einheit, die wenige Monate vor Abzug der US-Truppen und ihrer westlichen Alliierten nach 13-jähriger Besatzung das Land gegen eine neuerliche Machtübernahme der erstarkten Taliban wappnen soll. Alle maßgeblichen Ämter sollen überdies im Proporz zwischen den beiden Lagern aufgeteilt werden.

Die Afghanen waren des Geschachers nämlich längst überdrüssig. Verflogen war in den langen Monaten der Stimmauszählung der Enthusiasmus, der viele nach der Schneeschmelze im Frühjahr in den Bergtälern zu den Urnen trieb, der sie so manche Mühsal überwinden und den Terrordrohungen der Taliban trotzen ließ, um ihr demokratisches Recht wahrzunehmen.

Der Vorwurf der Manipulation und gegenseitige Anschuldigungen nach der Stichwahl begleiteten auch diese Wahl am Hindukusch, und das gehört beinahe schon zur politischen Folklore in Afghanistan. Bei der Neuauszählung der Stimmen kochten die Emotionen hoch, es flogen Sesseln und mitunter auch Fäuste, und nicht nur einmal drohte das Abdullah-Lager mit einem Abbruch und einem Boykott des Procedere. Angesichts des Patts und des Machtvakuums zirkulierten in Kabul Putschgerüchte.

Um Wahlsieg betrogen

Ein ums andere Mal wurde der Termin für die Proklamation des Wahlsiegers verschoben, bei einem Zwischenstopp in Kabul zwang US-Außenminister John Kerry im Juli die Streithähne an den Verhandlungstisch. Sogar Präsident Hamid Karzai drängte die Konkurrenten zuletzt zur Eile – um womöglich im Ausgedinge weiterhin die Fäden zu ziehen. Auch die Amerikaner wollten ohne den Widerstand des lästigen Karzai ein Sicherheitsabkommen fixieren, das ihrem verbleibenden Kontingent der Militärberater auch weiterhin Immunität garantiert.

Abdullah, Karzais ehemaliger Außenminister und später sein härtester Rivale, ließ sich zunächst jedoch nicht auf das Machtspiel ein. Er wollte sich partout nicht geschlagen geben. Bereits vor fünf Jahren hatte er sich um den Sieg betrogen gewähnt, als er unter dem Diktat der politischen Räson noch vor der Stichwahl aufgab. Diesmal ging er als klarer Sieger aus dem ersten Wahlgang hervor, um in der Stichwahl zu unterliegen. Dies könne nicht mit rechten Dingen zugegangen sein, mokierte er sich. Tatsächlich schrumpfte bei der Neuauszählung der Vorsprung Ghanis.

Der Deal zwischen Ex-Finanzminister Ghani, einem Paschtunen, und Abdullah, dem Kandidaten der tadschikischen Minderheit, markiert den ersten demokratischen Machtwechsel in Afghanistans turbulenter Geschichte. Innerhalb einer Woche soll die Inauguration Ghanis in Kabul über die Bühne gehen, und einer der ersten Akte seiner Amtszeit soll die Unterzeichnung eines Sicherheitspakts mit der Schutzmacht USA sein, der mit einer Milliardenhilfe verbunden ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.09.2014)

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