Hahn: „EU spielt in Ukraine auf Zeit“

European Neighbourhood Policy and Enlargement Negotiations Commissioner-designate Hahn of Austria addresses the European Parliament´s Committee on Foreign Affairs in Brussels
European Neighbourhood Policy and Enlargement Negotiations Commissioner-designate Hahn of Austria addresses the European Parliament´s Committee on Foreign Affairs in Brussels(c) REUTERS (YVES HERMAN)
  • Drucken

Für den neuen Nachbarschaftskommissar ist die Aussetzung des EU-Ukraine-Abkommens ein Beitrag zur Deeskalation. Die Anhörung vor den EU-Abgeordneten absolvierte Hahn mit Erfolg.

Brüssel. Eine Mischung aus Diplomprüfung und „Millionenshow“ – diese Hürde müssen die 27 EU-Kommissare in spe meistern, bevor sie am 1. November ihren Dienst im Hauptquartier der Brüsseler Behörde antreten dürfen. Am gestrigen Dienstag war Johannes Hahn (ÖVP) an der Reihe, der österreichische Kandidat für den Posten des Kommissars für Nachbarschaftspolitik und Erweiterungsverhandlungen. Dem Vernehmen nach hat Hahn grünes Licht vom Auswärtigen Ausschuss des Europaparlaments bekommen.  Die Koordinatoren das Ausschusses hätten sich unter dem Vorsitz des deutschen Europaabgeordneten Elmar Brok nach nur 20 Minuten darauf geeinigt, dass Hahn für seine neue Aufgabe geeignet sei, hieß es am Dienstagabend in Parlamentskreisen.

Drei Stunden lang musste Hahn den Europaabgeordneten Rede und Antwort stehen – Antwort auf insgesamt 45 streng getaktete Fragen. Dirigiert wurde die Veranstaltung vom parlamentarischen Urgestein Elmar Brok (CDU), der nach eigenen Worten „brutal“ über die Einhaltung der Redezeiten wachte – „denn alles andere führt zum Chaos“.

Chaotisch ging es in dem Prüfungssaal im 4. Stock des Parlamentsgebäudes trotz des großen Andrangs nicht zu. Was neben Zeremonienmeister Brok auch damit zu tun haben dürfte, dass das gestrige Hearing für Hahn eine Reprise gewesen ist – er wurde zum zweiten Mal für einen Posten nominiert und ging routiniert daran, den Abgeordneten seine inhaltlichen Prioritäten und Ansichten darzulegen. Zwar hat das EU-Parlament nicht die Befugnis, einzelne Kandidaten abzulehnen – abgestimmt wird nämlich am 21. Oktober über die gesamte Kommission –, doch in der Vergangenheit wurden immer wieder Bewerber für ungeeignet befunden und aus dem Rennen bugsiert.

„Nicht das Gelbe vom Ei“

Hahns neues Portfolio ist ungleich brisanter als sein bisheriges Tätigkeitsfeld Regionalpolitik, denn die europäische Nachbarschaft im Osten und Süden steht in Flammen. Der österreichische Kandidat machte von Anfang an klar, welches Krisengebiet er im Fokus haben will: Die Lösung der Ukraine-Krise sei die „erste Priorität“ der EU, sagte Hahn den Europaabgeordneten. Die Annäherung der Ukraine an den Westen hatte zu Jahresbeginn Russland auf den Plan gerufen, das im März die Krim mit Waffengewalt annektiert hatte und nun in der Ostukraine Unruhe stiftet – Auslöser des Konflikts war das mittlerweile unterzeichnete, aber vorerst ausgesetzte Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine. Dessen Suspendierung sei eine Ausnahmesituation und „nicht das Gelbe vom Ei“ gewesen, gab Hahn zu, habe aber maßgeblich zu der momentanen Waffenruhe zwischen den ukrainischen Truppen und prorussischen Rebellen im Osten des Landes beigetragen. Längerfristig könne die Gewährung eines Sonderstatus für die Ostukraine „ein Beitrag zur Beilegung des gegenwärtigen Konfliktes“ sein, sagte Hahn. An die Frage einer weiteren Annäherung der Ukraine an die EU – bis hin zu einer Mitgliedschaft – müsse pragmatisch herangegangen werden. Davon sei man aber „zeitlich und inhaltlich“ noch weit entfernt.

Abseits der akuten Krisenbewältigung bleibt aber die Frage, wie es mit dem 2009 initiierten Programm der Östlichen Partnerschaft weitergehen soll – neben der Ukraine zählen Georgien, Moldau, Armenien, Aserbaidschan und Weißrussland zu den Partnern der EU, und auf alle Länder übt Russland Druck aus – Armenien etwa ließ im Vorjahr das Assoziierungsabkommen mit der EU platzen. Man müsse der russischen Führung klarmachen, dass „die EU-Nachbarschaftspolitik kein Projekt auf Kosten Russlands“ sei, sagte Hahn – ohne zu konkretisieren, wie sich dies bewerkstelligen ließe, denn an Gesprächsbereitschaft herrscht in Brüssel kein Mangel. Parallel dazu will Hahn binnen zwölf Monaten einen Vorschlag für eine Reform der Nachbarschaftspolitik vorlegen.

Die von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ausdrücklich gewünschte Reform soll für mehr Flexibilität im Umgang mit den Nachbarn der EU sorgen – sowohl im Positiven, also durch stärkere Unterstützung (und Belohnung) aller Reformbemühungen, als auch im Negativen, also durch die Androhung von Sanktionen bei Nichteinhaltung von Zusagen. Die EU habe in der Vergangenheit vielleicht zu sehr auf das Prinzip „mehr für mehr“ vertraut, sagte Hahn, nun sei es möglicherweise an der Zeit, sich über das Prinzip „weniger für weniger“ Gedanken zu machen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.