"Österreich hat bei Syrien-Rückkehrern besonderes Problem"

In den Reihen des IS kämpfen auch über 2000 Islamisten aus Europa
In den Reihen des IS kämpfen auch über 2000 Islamisten aus Europa(c) REUTERS (� Stringer . / Reuters)
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Der deutsche Jihadismus-Experte Guido Steinberg warnt davor, den Wiener Extremisten Mohammed Mahmoud zu verharmlosen. Dass ihn die Türkei einfach laufen ließ, hält er für "vollkommen verantwortungslos."

Immer mehr Europäer, darunter viele Deutsche, aber auch Österreicher, kämpfen auf Seiten der Jihadisten in Syrien. Was bringt Menschen, die in Europa aufgewachsen sind, dazu, sich dort ausgerechnet dem IS, der radikalsten aller Gruppen anzuschließen? Was macht es für sie attraktiv, im syrischen Sand Ungläubigen den Kopf abzuschneiden?

Guido Steinberg: Das wichtigste Motiv ist das Leben im „Islamischen Staat“, auch wenn sich das etwas grotesk anhören mag. Man findet dieses Motiv immer wieder: Die jungen Jihadisten sind nach Pakistan, Somalia, oder eben jetzt nach Syrien gegangen, weil sie dort wie „wahre Muslime“ nach dem Vorbild des Propheten im 7. Jahrhundert leben können, diese Aussicht scheint ungeheuer attraktiv zu sein. Ein anderes Motiv ist es, bedrängten Muslimen zu Hilfe zu kommen, oder gegen die Amerikaner zu kämpfen.

Aber was ist so reizvoll daran, zu Leben wie der Prophet im 7. Jahrhundert?

Steinberg: Das ist eine religiöse Ideologie, die wir ernst nehmen müssen. Westliche Gesellschaften haben es sich aber abgewöhnt, diese Motive ernst zu nehmen. Da besteht aber ein tief empfundenes Bedürfnis, möglichst gottgefällig zu leben, das hat viele junge Muslime in Europa gepackt. Und diese Vorstellung existiert in allen Offenbarungsreligionen: je näher man am Vorbild des Religionsstifters ist, desto gottgefälliger lebt man, das gibt es bei Christen auch, Stichwort Urchristentum.

Wenn diese Leute also im „Islamischen Staat“ leben wollen – wird dann die Gefahr ihrer Rückkehr überschätzt?

Das wäre teilweise ein Fehlschluss. Das Motiv, in diesem Staat leben zu wollen, wird einerseits wichtiger, schon durch die Tatsache, dass der IS tatsächlich ein staatsähnliches Territorium kontrolliert. Daneben spielen auch Abenteuerlust und das Ausleben von Gewaltphantasien eine Rolle, gerade beim IS, das zeigt sich an den Bildern von abgeschlagenen Köpfen und Leichenschändungen. Es gibt aber andererseits auch Motive, zurückzukehren, besonders dann, wenn der IS stärker unter Druck gerät. Es ist zwar nur ein Teil, der zurückkehrt, aber der ist dann auch sehr gefährlich. Derzeit sehen wir allerdings, dass viele dort bleiben. Und die Zahl der deutschen Selbstmordattentäter – in den vergangenen drei Monaten gab es im Irak alleine fünf unbestätigte Fälle – ist sprunghaft gestiegen, das ist etwas ganz Neues.

Sie schreiben, dass die Europäer heute das vielleicht dynamischste Element im Jihadismus sind. Wie kam es dazu?

Was Herkunftsländer betrifft, sind noch immer die Araber vorn, aber beim Wachstum sind es die Europäer. In absoluten Zahlen dominieren in Bezug auf Syrien Briten, Franzosen und Deutsche. In Relation zur Gesamtbevölkerung sind aber vor allem Belgier, Dänen und Österreicher stark. Die jihadistische Heilslehre ist hier in Zentraleuropa relativ spät angekommen, sie wächst aber jetzt umso stärker. Und das scheint die Sicherheitsbehörden zu überfordern.

Wie unterscheidet sich die österreichische Szene von der deutschen, ist sie radikaler?

Ein Österreicher, Mohammed Mahmoud, war ganz wichtig war für die Entstehung der deutschen Szene. Die Unterschiede liegen vor allem in einer anderen regionalen Prägung, aufgrund der Zusammensetzung der muslimischen Gemeinden. In Österreich sind Jihadisten vom Balkan stärker vertreten, und solche aus dem Kaukasus, die wir unter dem Begriff „Tschetschenen“ zusammenfassen. Etwa die Hälfte der österreichischen Syrien-Kämpfer sind solche „Tschetschenen“, das macht das besondere Charakteristikum aus, und die besondere Gefahr. Sie sind schwer unter Kontrolle zu halten, sprechen viele Sprachen, sind europäisch vernetzt. Und sie zählen zu den brutalsten und effektivsten Gruppierungen in Syrien. Österreich hat da ein besonders großes Problem, auch in Bezug auf die Rückkehrer.

Weil schon aus sprachlichen Gründen ihre Überwachung schwierig ist?

Ja, wobei die Österreicher hier schon Expertise in Nachbarländer geliefert haben. Die Österreicher kennen das Problem seit langem aus der Organisierten Kriminalität, sie sind da besser aufgestellt.

Experte Steinberg hält die tschetschenischen Syrien-Kämpfer aus Österreich für äußerst gefährlich.
Experte Steinberg hält die tschetschenischen Syrien-Kämpfer aus Österreich für äußerst gefährlich.imago/Mauersberger

Mohammed Mahmoud wird ja hierzulande oft als „Austro-Islamist“ etikettiert und verharmlost, fast verzwergt, ein Islamist zwar, aber eben ein österreichischer, also nicht so schlimm. Durch ihr Buch zieht sich der Name aber wie ein roter Faden.

Mohammed Mahmoud ist eine ganz schillernde Gestalt, und dass ich ihn so häufig nenne, zeigt schon, wie wichtig ich ihn einschätze. Es gibt noch immer die Debatte, ob er im Irak gekämpft hat und verletzt wurde oder nicht, aber das ist letztlich völlig egal. Manche halten ihn für eine Witzfigur, manche für einen ganz gefährlichen Terroristen und Einpeitscher. In seinen Internetjahren bei der GIMF war er von Österreich aus enorm wichtig beim Import jihadistischer Ideen für den deutschsprachigen Raum, das hat weit ausgestrahlt nach Deutschland und in die Schweiz. Als er dann 2011 nach Berlin kam, entstand mit Millatu Ibrahim die erste einheimische jihadistische Formation. Seine Bedeutung ab dieser Zeit, auch organisatorisch, kann man kaum überschätzen. Er ist eine enorm wichtige Figur, man sollte sich nicht täuschen lassen von seinen etwas lächerlich wirkenden Auftritten im Internet.

Nehmen die österreichischen Behörden das Thema ernst genug?

Ja, das Thema ist als bedrohlich erkannt worden. Die Frage ist, ob die Maßnahmen ausreichen, das ist für Außenstehende sehr schwer zu beurteilen. Denn was die Sicherheitsbehörden dürfen, ist ja nicht viel, etwa bei der Überwachung von Moscheen und Kulturzentren. Das ist unserer gemeinsamen Geschichte geschuldet.

Und in Deutschland?

Wir sind sehr zurückhaltend bei den Nachrichtendiensten, die Deutschen halten die Dienste ganz bewusst schwach. Ich glaube, das ist in den letzten Jahren nicht mehr der Bedrohung angemessen. Wir haben eine gewachsene Szene, aber nicht die Möglichkeiten, nachrichtendienstlich adäquat vorzugehen. Ich glaube, diese Schwäche gibt es auch in Österreich. Man müsste frühzeitig erkennen, wann die Leute in diese Szene abrutschen – denn dann sind sie bald auch schon in Syrien.

Wie lange dauert der Radikalisierungsprozess, wie viel Zeit vergeht vom Erst-Kontakt mit dem jihadistischen Milieu und der Reise nach Syrien?

Das ist sehr besorgniserregend, das können mittlerweile auch nur einige wenige Monate sein, auch wenn es sich in der Regel noch um Jahre handelt. Aber die Phase von der Radikalisierung bis zur Rekrutierung ist kürzer geworden. Und wenn die Sicherheitsbehörden nur wenige Monate haben, können sie kaum feststellen, dass junge Menschen in dieses Milieu abrutschen. Die Arbeit der Nachrichtendienste ist ja auf Langfristigkeit angelegt.

Schon früher, als die Szene klein und überschaubar war, schienen die Sicherheitsbehörden überfordert. Ist die Gefahr, die von den hunderten Rückkehrern ausgeht, überhaupt noch zu beherrschen?

Ich glaube, dass man schon vor der Ausreise aggressiver vorgehen muss. Wenn man versucht, eine Quelle aus diesem Milieu zu gewinnen, muss man Druck ausüben. In Deutschland wird den Informanten oft nur Geld gezahlt, so kann man ideologisch gefestigte Aktivisten nicht gewinnen. Man muss die Scheu vor der Arbeit in diesem religiösen Milieu ablegen. Und man muss akzeptieren, dass die USA auch in der Terrorbekämpfung unser wichtigster Partner sind. Ohne die Hilfe der Amerikaner wären wir in einigen Bereichen weitgehend schutzlos. Unsere Auslandsaufklärung ist auf sie angewiesen. In deren täglicher Arbeit kommt sehr viel Material von den Amerikanern. Insofern muss man sie auch pflegen, und sich nicht so verhalten wie die Deutschen in der NSA-Affäre, denn die Abhängigkeit ist groß. Ich denke, das gilt auch für Österreich.

Die Türkei scheint sich um das Problem relativ wenig zu kümmern. Sieht man dort nicht, dass das mittelfristig auch das eigene Land bedrohen kann?

Alle Rekruten aus Deutschland und Österreich sind über die Türkei gereist, denn Ankara nimmt das IS-Problem nicht so ernst wie wir. Das Primat unserer Syrien-Politk ist der IS. Die Türken aber wollen in erster Linie Assad stürzen, in zweiter die PKK schwächen, erst drittens geht es gegen den IS. Wenn der IS die Kurden bekämpft, schauen die Türken gerne weg. Das führt dann dazu, dass jihadistische Kämpfer ohne Probleme durchreisen können. Wenn sich das nicht ändert, wird es ungeheuer schwer, die Rückreise zu kontrollieren. Da müssen Europäer auf die Türken einwirken, wobei es scheint, dass sie seit eineinhalb Jahren zumindest etwas hellhöriger geworden sind.

Mohammed Mahmoud haben sie allerdings aus dem Gefängnis gelassen, und jetzt ist er abgetaucht.

Das ist natürlich katastrophal. Mahmoud ist vielleicht nicht der erste, der einen großen Anschlag in Wien verüben würde, aber er ist für die Szene in Deutschland und Österreich so wichtig, dass man ihn unter Kontrolle halten muss. Das Verhalten der Türkei in seinem Fall ist schon paradigmatisch, vollkommen verantwortungslos.

Es hieß lange, der israelisch-palästinensische Konflikt wäre der Schlüssel zu allen Problemen in der Region. Gilt das in Zeiten des IS noch? Was hätte es für einen Einfluss, wenn dieser Konflikt morgen gelöst wäre?

Ich glaube gar keinen. Der Israel-Palästina-Konflikt ist wichtig, aber in erster Linie für die Palästinenser. Als radikalisierendes Element hat er eine Rolle gespielt, aber nur als eines unter vielen. Und während al-Qaida pragmatisch war und politisch ganz konkrete Ziele verfolgt hat, ist der IS völlig kompromisslos. Er kämpft gegen alle, gegen Amerikaner, Europäer, Israel, Assad, die irakische Regierung, die Kurden, religiöse Minderheiten. Wenn da ein Feind wegfallen würde, würde sich gar nichts ändern. Das ist ein kompromissloser Kampf gegen die ganze Welt, und ich fürchte, der kann nur mit Gewalt entschieden werden.

Könnte das eine Chance sein? Dass sich der IS da einfach übernimmt?

Ganz sicherlich. Man darf nicht vergessen, die Organisation ist mit 20.000 bis 30.000 Mann noch immer relativ klein, auch wenn sie gut organisiert ist und wächst. Schon der Vorläuferorganisation hat es Probleme verschafft, sich so viele Feinde gemacht zu haben, und das werden wir hoffentlich auch diesmal wieder sehen. Der Unterschied ist, dass einige der Gegner – der syrische Staat und der Irak – heute sehr viel schwächer sind als noch vor wenigen Jahren.

Lässt sich abschätzen, wie lange wir mit dem IS zu tun haben werden?

Ich rechne mit mindestens einem Jahrzehnt, weil ich denke, dass der syrische Bürgerkrieg noch sehr lange andauern wird, und so lange werden wir es auch mit dem IS und verwandten Gruppierungen zu tun haben.

Guido Steinberg ist Experte für Jihadismus, politischen Islam und militanten Islamismus bei der „Stiftung Wissenschaft und Politik“. Die Langversion des Interviews lesen Sie unter www.diepresse.com/steinberg

Steinbergs neues Buch „Al-Qaidas deutsche Kämpfer. Die Globalisierung des islamistischen Terrorismus“ ist soeben in der Edition Körber-Stiftung erschienen (464 Seiten, 18 Euro).

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