Kurdische Kämpfer: „Wie Auto ohne Benzin“

TURKEY SYRIA BORDER CONFLICT
TURKEY SYRIA BORDER CONFLICT(c) APA/EPA/TOLGA BOZOGLU (TOLGA BOZOGLU)
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Der Vormarsch der IS-Milizen scheint vorerst gestoppt. Verteidiger beklagen aber fehlenden Nachschub.

Istanbul. Knapp vier Wochen nach dem Beginn der Belagerung von Kobane durch den Islamischen Staat (IS) wird die Situation der kurdischen Verteidiger der nordsyrischen Stadt immer schwieriger. Eine Einnahme von Kobane würde dem IS einen wichtigen Sieg bescheren und die Gruppe zu Angriffen auf Ziele in Syrien und im Irak ermuntern. Gegensätzliche Interessen der USA und der Türkei sind ein Vorteil für die Extremisten.

Neue Luftangriffe der internationalen Allianz zielten am Wochenende auf Stellungen des IS im Süden und Osten von Kobane. Unterdessen wehrten kurdische Kämpfer in der eingekesselten Stadt einen Vorstoß der Jihadisten ins Zentrum ab. Den Kurden fehlt vor allem der Nachschub von Waffen und Munition, während der IS immer neue Panzer und Geschütze herbeischaffen kann. Die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte verglich die Lage der Verteidiger mit der eines Autos ohne Benzin.

Nach UN-Angaben sind mehrere hundert großteils ältere Menschen in der Stadt eingeschlossen; mehrere tausend weitere kampieren in der Nähe des türkischen Grenzzauns im Norden von Kobane, um bei einer Eroberung durch den IS rasch fliehen zu können. Staffan de Mistura, der UN-Sonderbotschafter für Syrien, warnte vor einem Massaker wie in Srebrenica, wo bosnische Serben 1995 rund 8000 muslimische Zivilisten ermordeten.

Ankara hat Panzerverbände an der Grenze nahe Kobane auffahren lassen und schickt humanitäre Hilfsgüter in die eingeschlossene Stadt. Die türkische Regierung will den kurdischen Verteidigern der Stadt aber nicht militärisch helfen, weil diese mit der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) verbündet sind, die seit 30 Jahren gegen den türkischen Staat kämpft. Diese Haltung löste in den vergangenen Tagen in der Türkei und in Europa schwere Kurdenunruhen aus, bei denen mindestens 35 Menschen starben.

Eine Kursänderung der türkischen Führung ist aber nicht in Sicht. Präsident Recep Tayyip Erdoğan fragte bei einer Rede, was Kobane denn mit der Türkei zu tun habe. Yasin Aktay, Vizechef der türkischen Regierungspartei AKP, sagte der BBC, in Kobane spiele sich keine Tragödie ab, sondern lediglich ein Konflikt zwischen zwei Terrororganisationen.

Nächstes Ziel: Aleppo

Nach Einschätzung der Regierungen der USA und der Türkei ist es nur eine Frage der Zeit, dass Kobane fällt. Sollte dies geschehen, hätte der IS ein großes zusammenhängendes Gebiet an der türkischen Grenze im Norden Syriens unter seiner Kontrolle und könnte den Angriff auf die syrische Wirtschaftsmetropole Aleppo rund 150 Kilometer südwestlich von Kobane vorbereiten.

US-Verteidigungsminister Chuck Hagel zeigte sich indessen vorsichtig optimistisch. Es gebe „erhebliche Fortschritte“, erklärte er. Der Vorstoß der Extremisten scheint vorerst gestoppt. Der Kampf zur Ausschaltung der Terrormiliz werde freilich lang und schwer sein. Die Militärchefs des Anti-IS-Bündnisses wollen heute unter Führung von US-Generalstabschef Martin Dempsey in der Nähe Washingtons ihre weitere Strategie diskutieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2014)

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