In Bedrängnis: Radikale Wende des Hugo Chávez

(c) AP (Howard Yanes)
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Der Präsident sagt sich von Links-Guerilleros in Kolumbien los und zeigt sich innenpolitisch nachgiebig.

Wien/Caracas. Wenn Hugo Chávez seine neuesten Ideen erklärt, macht er das meist sonntags um elf in der TV-Show „Aló, Presidente“. Das Programm, eine Mischung aus seichter Unterhaltung und ideologischer Kopfwäsche, dauert bis zu acht Stunden. Genug Zeit, um die verwirrenden Launen des Linkspopulisten unters venezolanische Volk zu bringen.

Doch nach der letzten Ausgabe seiner Sonntagspredigt rieb sich die ganze Welt ungläubig die Augen. „Es ist soweit, Cano. Lasst alle Geiseln frei“, richtete Chávez da dem neuen Anführer der kolumbianischen Farc-Rebellen aus. „Der Guerillakrieg ist Geschichte. Der Kampf gegen die demokratische Regierung Kolumbiens ist nicht gerechtfertigt.“ Ist das derselbe Chávez, der im Jänner dazu aufgefordert hatte, der Welt größte Rebellentruppe vom Status einer Terrororganisation zu befreien und als politische Gruppierung anzuerkennen? Ja, es ist derselbe.

Die Farc in der Krise

Denn inzwischen hat sich einiges getan: Ende März starb Farc-Chef Manuel Marulanda. Zwei weitere Kommandanten fielen im Kampf gegen die Truppen von Kolumbiens Präsident Alvaro Uribe. Seine harte Linie gegen die Rebellen, die etwa 700 Geiseln gefangen halten, beginnt dank milliardenschwerer US-Unterstützung zu greifen. In ihrer besten Zeit hatte die Farc 17.000 Kämpfer, heute sind es nur noch die Hälfte. Die Organisation steckt in der schwersten Krise ihrer über 40-jährigen Geschichte. Dem nachrückenden Alfonso Cano sagt man nach, mit ihm ließe sich leichter verhandeln – vielleicht sogar über die Kapitulation.

Chávez sah eine Chance für Frieden – und dafür, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Denn Uribes Truppen hatten einen Laptop mit Daten gefunden, die beweisen, dass Chávez die Rebellen unterstützt hat. Vor kurzem hat Interpol die Echtheit der Daten bestätigt. Grund genug für den Rückzieher von Chávez. Er erklärte der Farc sogar, warum er sie nicht mehr unterstützen kann: „Ihr seid zum Vorwand des Imperiums geworden, uns zu bedrohen.“ Das „Imperium“ sind die USA, „uns“, das ist Chávez' Machterhalt.

Denn Umfragen zeigen, dass Chávez an Rückhalt verliert. Die knappe Niederlage beim Verfassungsreferendum im Dezember war erst der Anfang. Regionalwahlen stehen ins Haus, Umfragen deuten auf Verluste hin. Das Volk murrt über die Farc-Liaison, Inflation und Versorgungsengpässe trotz sprudelnder Öl-Einnahmen.

Und Chávez, der alte Polit-Fuchs, erfindet sich wieder einmal neu. Wie vor kurzem, als er auf einen kommunistisch inspirierten Lehrplan verzichtete. Zwei Schritte vor, einer zurück – dieses Muster bewährte sich auch vorige Woche, als er per Dekret ein Gesetz erließ, dass dem Geheimdienst die Spionage erleichtern und das Spitzelwesen fördern sollte.

Nach einem kollektiven Aufschrei von Opposition, Medien und Kirchen kritisierte Chávez sein eigenes Gesetz in „Aló, Presidente“ – und nahm es zurück. Die fragile Demokratie in Venezuela funktioniert also noch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.06.2008)

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