Nato-Chef wirbt in Ukraine für Allianz, bekämpft „Mythen“

(c) AP (Sergei Chuzavkov)
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Generalsekretär Scheffer und die Führung in Kiew versuchen die sehr Nato-kritische Bevölkerung zu überzeugen.

MOSKAU/KIEW. Zweieinhalb Monate nach dem Nato-Gipfel in Bukarest, bei dem die Ukraine nicht die erhoffte Einladung zum Mitgliedschaft-Aktionsplan erhalten hatte, gehen die Bemühungen um eine Annäherung des Landes an die Allianz weiter. Seit Montag befindet sich Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer in der Ukraine. Es geht darum, den Fortgang der Umgestaltungen in der ukrainischen Armee zu begutachten und Russlands jüngste Erklärung, einen Nato-Beitritt der Ukraine niemals zuzulassen, auf ihre Ernsthaftigkeit hin zu prüfen.

In Bukarest hatte die Nato der Ukraine und Georgien versprochen, Verhandlungen über eine Aufnahme in den Aktionsplan, der Vorstufe für einen Beitritt, fortzusetzen. Zu Wochenbeginn nannte Jaap de Hoop Scheffer in Kiew freilich keinen Zeitplan. Er rief die Ukraine stattdessen auf, die nötigen Reformen durchzuführen.

Außerdem versuchte er, „Mythen“, die angeblich mit der Nato-Mitgliedschaft verbunden werden, zu zerstreuen: „Sie bedeutet keine Nato-Stützpunkte auf ukrainischem Boden“, sagte er: „Sie bedeutet nicht, dass irgendwelche ukrainischen Soldaten gezwungen werden, an Nato-Missionen oder Nato-Operationen teilzunehmen“.

Die Schützenhilfe des Niederländers galt dem ukrainischen Präsidenten Viktor Juschtschenko. Er und Premierministerin Julia Timoschenko stehen ja für eine schnelle Integration in westliche Strukturen, darunter die Nato. Den Volkswillen haben sie dabei aber nicht hinter sich.

Im Unterschied zum Nato-freundlichen Georgien sprechen sich in der Ukraine nämlich gerade mal 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung für einen Nato-Beitritt aus. Dies vor dem Hintergrund, dass die Mehrheit eine Integration in die EU sehr wohl befürwortet. Gerade im russischsprachigen Osten ist die Ablehnung einer Nato-Mitgliedschaft am größten.

Die Legenden der „Prawda“

Die Skepsis der Ukrainer gegenüber der Nato ist auch der Hauptgrund gewesen, dass sich europäische Bündnispartner im April im Unterschied zu den USA weigerten, der Ukraine grünes Licht zu geben. „Wir müssen uns von den Mythen und Legenden, die uns fast 60 Jahre lang vom Umschlag der Prawda aufgeschwatzt worden sind, befreien“, meinte Juschtschenko unter Bezugnahme auf die sowjetische Parteizeitung.

Im März hatte das ukrainische Parlament verfügt, dass ein gesamtukrainisches Referendum über einen Beitrittsvertrag entscheiden muss. Juschtschenko hofft, dass ein solches bereits in zwei Jahren stattfindet. Dies ist kombiniert mit der Hoffnung, dass schon beim Nato-Außenministertreffen im Dezember die Einladung zum Aktionsplan erfolgt.

Es brauche mehr Dialog mit den Bürgern, meinte Juschtschenko. Wie aber die ukrainische Zeitung „Delo“ aufzeigt, zögert die Regierung den Start einer vierjährigen Nato-Werbekampagne hinaus. Laut Experten sei alles auf September verschoben.

Die ukrainischen Medien schreiben, dass Jaap de Hoop Scheffer hinter verschlossenen Türen die Annäherung an die Nato auch von einer stabileren Kooperation zwischen Juschtschenko und Timoschenko abhängig gemacht habe. In der Tat hängt der Haussegen zwischen den beiden so schief, dass der Weiterbestand der orangen Koalition in Frage steht. Jeden Tag wird über vorgezogene Neuwahlen oder fliegende Koalitionswechsel spekuliert. Sollte die im Osten des Landes dominierende Partei der Regionen in die Regierung kommen, würde die Dynamik Richtung Nato merklich abgebremst.

Russische Drohungen

Wie auch immer: Letztlich sei die Annäherung an das Bündnis eine ukrainische Angelegenheit, weshalb er sich die Einmischung Dritter verbitte, meinte Juschtschenko. „Dritte Parteien sollten kein Recht haben, unsere Annäherung an die Nato zu verhindern“. Gemeint ist Russland, das zuletzt wegen der Nato-Beitrittsambitionen der Ukrainer schon seit längerem Gift und Galle spuckt.

Der russische Vizepremier Sergej Iwanow hat am Wochenende auf dem Militärhafen Sewastopol klargestellt, dass ein Nato-Beitritt der Ukraine den Abbruch der militärischen Bande, die Verringerung des Handels und der Industriekooperation sowie die Einführung der Visumspflicht bedeuten würde. Das Druckmittel ist für die Ukraine empfindlich, schließlich bleibt Russland wichtigster Handelspartner und Massen von Ukrainern verdienen ihr Geld als Gastarbeiter beim großen Bruder.

AUF EINEN BLICK

Beim Nato-Gipfel Anfang April in Bukarest erhielten die Ukraine und Georgien nicht die erhoffte Einladung zum Mitgliedschafts-Aktionsplan (MAP).

Die Nato-Außenminister sollen sich bei ihrem Treffen im Dezember erneut mit dieser Frage beschäftigen. Während die Führung in Kiew in die Nato drängt, ist die Bevölkerung sehr skeptisch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2008)

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