Psychologischer Krieg der Armee gegen Erdogan

(c) AP (Umit Bektas)
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Die kemalistische Elite zieht alle Register, um den gemäßigt islamischen Premier Erdogan von der Macht zu drängen. Sehr geschickt geht sie dabei jedoch nicht vor, außer beim Verbotsverfahren gegen die Regierungspartei.

ISTANBUL. 7000 Menschen haben zuletzt in der Istanbuler Fußgängerzone gegen einen möglichen Militärputsch demonstriert. Ist es bald wieder so weit? Oral Calislar, bis vor kurzem Kolumnist der erzkemalistischen Zeitung Cumhuriyet („Die Republik“) meint, die Zeiten seien vorüber, die Methoden hätten sich verändert. Nun werde ein „psychologischer Krieg“ geführt.

An der Front sind derzeit auch Juristen am Werk. Generalstaatsanwalt Abdurrahman Yalcinkaya hielt am Dienstag hinter verschlossenen Türen sein Schlussplädoyer zum Verbot der islamischen Regierungspartei AKP. Neuerlich warf er der Bewegung von Premier Erdogan vor, die Türkei schleichend islamisieren zu wollen. Als Beleg führte er ein Zitat des stellvertretenden AKP-Chefs Dengir Mir Mehmet Firat an, der erklärt hatte, die Revolution von Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk sei traumatisch gewesen.

Betrachtet man die drei Militärputsche der jüngeren Geschichte, 1960, 1971 und 1980, so fallen sie alle in Zeiten ökonomischer Schwierigkeiten und einer starken Polarisierung der Gesellschaft. Beides wäre auch heute gegeben. Andererseits sind die ökonomischen Probleme bisher nicht mit denen früherer Regierungen vergleichbar. Die Türkei steht vielleicht am Ende eines langen und starken Booms, doch es gab eben einen spürbaren Aufschwung.

Vor allem fanden alle drei Putsche vor dem Hintergrund des Kalten Krieges statt. Die türkische Armee war ein wichtiger Verbündeter des Westens. Nach dem Putsch von 1980, bei dem zahlreiche Menschen zu Tode gefoltert oder hingerichtet wurden, machte man im Nato-Hauptquartier nur leichtfertige Sprüche wie „Sie werden schon niemanden aufhängen!“. Deutschland, im Nato-Rahmen für die Unterstützung der Türkei zuständig, verdreifachte seine Hilfsgelder für die türkische Armee.

Dass heute der Westen seine Hilfen für die Türkei aufstocken und der IWF wie damals mit einem Kreditpaket gelaufen käme, wenn die Militärs putschen, ist undenkbar. Der Westen hat ein massives Interesse an einer Türkei, die der islamischen Welt die Vereinbarkeit von Westbindung, Demokratie und Marktwirtschaft und muslimischer Bevölkerungsmehrheit vor Augen führt.

Geheime Aktionspläne

Nach einem Putsch wäre die Türkei isoliert und müsste dafür einen hohen ökonomischen Preis zahlen. Offenbar sind die Generäle nicht bereit, die Verantwortung hierfür zu übernehmen.

Dennoch wird heftig konspiriert. Am Dienstag verhaftete die Polizei 24 Ultra-Nationalisten, darunter auch zwei pensionierte Generäle. Ihnen wird vorgeworfen, einen Putsch geplant zu haben.

Darüber hinaus gibt es eine Fülle von Belegen dafür, dass die Militärs eine Art psychologischen Krieg gegen die Regierung Erdogan führen oder führen wollen. Zuletzt veröffentlichte die regierungsnahe Zeitung Taraf einen geheimen Aktionsplan des Militärs.

In dem seit September gültigen Aktionsplan wird empfohlen, Nachrichten, die der Regierung schaden, durch die „hierfür geeigneten Medienkanäle“ zu verbreiten. Nicht nur die regierende gemäßigt islamische AKP, sondern auch die prokurdische DTP stehen auf der Liste der Feinde der Streitkräfte. Um die Unterstützung für die PKK-Rebellen zu unterminieren sollen die Bewohner in den kurdischen Gebieten durch militärische Aktionen in Unruhe versetzt werden. Das gleiche Rezept haben die Militärs auch für die irakischen Kurden jenseits der Grenze bereit. Die Echtheit des Aktionsplanes wurde vom Militär weder bestritten noch bestätigt.

Doch auch Richter, Generäle, Oppositionspolitiker werden beobachtet, belauscht. Da taucht zum Beispiel ein Foto auf, das den Kommandanten der türkischen Landstreitkräfte, Ilker Basbug vor der Klagemauer in Jerusalem zeigt und das ihn bei vielen frommen Muslimen diskreditiert. Was der Generalsekretär der oppositionellen CHP in einem Gespräch unter vier Augen, aber mit mehr Ohren, über den Propheten Mohammed gesagt hat, steht kurz darauf in der fundamentalistischen Zeitung Vakit. Aus dem Krankenblatt eines Generals wird zitiert. Über einen fast ein halbes Jahr zurückliegenden Besuch eines Verfassungsrichters beim Generalstab wird berichtet, und so weiter.

Die Frage stellt sich, ob die Generäle einen Gegenspieler gefunden haben, ein Zentrum, das von der Regierung beauftragt, genau das gleiche tut wie die Militärs steht, nur erfolgreicher. In der Zeitung Radikal wurde darüber spekuliert, ob das Innenministerium relevante Daten sammelt. Dort wurde unter Erdogan ein „Präsidium für Beziehungen zur Gesellschaft“ eingerichtet, dessen genaue Aktivitäten unbekannt sind.

VERBOTSVERFAHREN

Generalstaatsanwalt Abdurrahman Yalcinkaya beantragte im März ein Verbot der gemäßigt islamischen Regierungspartei AKP. Er will zudem 70 führende AKP-Politiker, darunter Premier Erdogan und Präsident Gül, mit einem fünfjährigen Politikbann belegen. Sein Vorwurf: Die AKP wolle die Türkei schleichend islamisieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2008)

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