Wundern über „Polit-Knut“

Barack Obamas Berliner „Sommermärchen“: Ist der Kandidat ein Kuschelbär mit sanften Pfoten oder doch kratzbürstig?

BERLIN. Am Morgen danach erinnerte am Großen Stern, dem Rondell rund um die Siegessäule, kaum noch etwas an die Sternstunde in der Abendsonne zwölf Stunden zuvor. Alles war abgebaut und weggeschafft. Rund um die „Goldelse“ waren die Sprenkleranlagen in Betrieb, während sich Barack Obama in seiner Suite im Hotel Adlon von den Strapazen seiner außenpolitischen Tour de Force erholte, um hernach den US-TV-Stationen serienweise Interviews zu geben.

Vor seiner Rede am Donnerstagabend hatte der schlaksige Politiker noch ein Fitness-Studio im „Ritz Carlton“ aufgesucht, um sich in Schwung zu bringen für seinen großen Auftritt. Und danach sollte ein Ruccola-Salat im Nobelrestaurant Borchardt seinen Hunger stillen. Seine Begleiter drängten zum frühen Aufbruch, und seine Umgebung kolportierte hinterher, Obama fühle sich wie „im Käfig“.

Westen oder Osten

Anderntags ließ er sich nicht mehr blicken. Nach 28 Stunden ging sein Berliner „Sommermärchen“ dann zu Ende. Am Vorabend hatte sich der „Weltbürger“ mit den Vorfahren aus Kansas und Kenia vor der Siegessäule noch losgerissen für ein Bad in der Menge. Seine Sicherheitsleute, heißt es, hätten ihm von einem Gang durchs Brandenburger Tor oder einem Besuch des Holocaust-Mahnmals abgeraten.

„Ist das hier Westen oder Osten?“, fragte er den Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit. Nach seiner Begegnung mit dem Kandidaten gab der ambitionierte SPD-Politiker bereitwillig Auskunft – darüber etwa, dass er den beiden Obama-Töchtern „Knut“-Kuschelbären schenkte. Als „Polit-Knut“ hatte ein Journalist Obama denn auch bezeichnet. „Der kann zu einem richtig kräftigen Bären werden“, spann der Politologe Jan Techau bei der Analyse in der „Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik“ über die „Berliner Rede“ die Analogie fort.

„Erlöser oder Blender?“

Der Außenpolitik-Think-Tank hatte seine Veranstaltung unter das Motto „Erlöser oder Blender?“ gestellt. Während die „Welt“ in einem Kommentar die „Taschenspielertricks“ Obamas bemäkelte, zogen die Politikwissenschaftler ein differenziertes Resümee. Einerseits steuerten die USA unter neuer Führung zusehends auf einen Protektionismus in Handelsfragen zu, zum anderen konstatierten die Experten Bewegung in der US-Energiepolitik, an der Umweltfront und eine verstärkte internationale Kooperation – was neben mehr Mitsprache auch mehr Verantwortung für die Partner bedeutet. Gleichwohl werde die Wirtschaft die US-Wahl entscheiden, lautet der Tenor.

Eindringlich warnte der US-Experte Jackson James davor, Barack Obama als „Kandidaten der Europäer“ zu vereinnahmen: „Machen wir uns nichts vor: Wir werden uns noch sehr über ihn wundern.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2008)

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