Russische Truppen dringen in Georgien vor

 Georgien, Abchasien, Südossetien, Russland
Georgien, Abchasien, Südossetien, Russland EPA (Zurab Kurtsikidze)
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Die georgische Stadt Senaki wurde von russischen Truppen besetzt. Georgiens Präsident Saakaschwili erklärte, Russland wolle die Energie-Transportwege durch den Kaukasus kontrollieren.

Ungeachtet der von Georgien einseitig ausgerufenen Waffenruhe sind Montag die Kämpfe zwischen georgischen und russischen Truppen weitergegangen. Am Montagnachmittag marschierten russische Truppen von Abchasien aus nach Georgien ein. Die Führung in Moskau bestätigte entsprechende Angaben des georgischen Innenministeriums.

Nach offiziellen Angaben aus Tiflis drangen russische Truppen in die 40 Kilometer von Abchasien entfernte Stadt Senaki vor. Dutzende gepanzerte Fahrzeuge seien in der Stadt, die außerhalb einer Pufferzone an der Trennlinie zwischen Abchasien und Georgien liegt. Von russischer Seite hieß es, damit sollen neue georgische Angriffe auf Südossetien verhindert werden.

Kämpfe zwischen georgischen und russischen Truppen wurden auch aus der georgischen Stadt Gori nahe der Grenze zu Südossetien  gemeldet. Nach georgischen Angaben hätten russische Truppen Josef Stalins Geburtsstadt bereits besetzt, das russische Verteidigungsministerium dementiert aber. Georgischen Angaben zufolge bombardierten in der Nacht auf Montag außerdem bis zu 50 russische Kampfflugzeuge mehrere Städte in ganz Georgien.

Russland will Kontrolle über Pipelines

In einem eilig einberufenen Konferenzgespräch erklärte Georgiens Präsident Micheil Saakaschwili, dass es Russland gar nicht um die Südosseten gehe: "Es geht ihnen um die Kontrolle der Energie-Transportwege", sagte er. Aus diesem Grund wolle Russland die Regierung in Tiflis absetzen. 90 Prozent der Opfer des Krieges um die abtrünnige georgische Region seien Zivilisten, sagte der Präsident weiter.

Nachdem georgische Truppen am Freitag nach Südossetien vorgerückt waren, brachte Russland am Wochenende mit 10.000 Soldaten, hunderten Panzern und Kampfflugzeugen weite Teile der abtrünnigen Region unter seine Kontrolle. Die georgischen Einheiten zogen sich aus der südossetischen Hauptstadt Zchinwali in die umliegenden Berge zurück. Allerdings enthalten einige Meldungen aus dem Gebiet Informationen über einen erneuten Beschuss Zchinvalis durch georgische Truppen.

Russland glaubt daher auch nicht an den von Georgien ausgerufenen Waffenstillstand. Ein Kremlsprecher erklärte, dass den russischen Friedenstruppen zufolge Georgien in Südiossetien weiterhin militärisch vorgeht. Daher könne Russland den Waffenstillstand nicht akzeptieren. Kurz nach der Absage Russlands an den Waffenstillstand ließ die südossetische Verwaltung verlautbaren, dass Georgien gegen 13.30 Uhr den massiven Beschuss der abtrünnigen Region wieder aufgenommen habe. Die Außenminister der G7-Staaten drängen Russland dennoch auf die Einhaltung des Waffenstillstandes.

Russische Seeblockade


Die russische Kriegsmarine riegelte die Zufahrt zu den georgischen Schwarzmeerhäfen ab. Mit der Seeblockade sollten Waffenlieferungen an Georgien unterbunden werden. Am Sonntagabend versenkte die russische Marine im Schwarzen Meer ein georgisches Kriegsschiff. Nach Angaben Moskaus hatte es zuvor russische Schiffe angegriffen.

Am Montagvormittag erklärte Russlands Präsident Dmitrij Medwedjew, der Einsatz in Südossetien sei kurz vor dem Abschluss: "Ein wesentlicher Teil des Einsatzes mit dem Ziel, die georgische Regierung zu einem Friedensschluss in Südossetien zu zwingen, ist abgeschlossen", erklärte er. Medwedjew sprach sich für eine OSZE-Mission in der umkämpften Region aus.

Kriegsrecht in Abchasien

Der Krieg zwischen Georgien und Russland verlagert sich: Das ebenfalls von Georgien abtrünnige Gebiet Abchasien kündigte Unterstützung für Südossetien an und verhängte am Sonntag das Kriegsrecht. Die moskautreuen Machthaber in der international nicht anerkannten Republik am Schwarzen Meer riefen die Mobilmachung ihrer Truppen aus. Abchasische Streitkräfte rückten im Landkreis Gali gegen georgische Stellungen vor.

Georgien ignoriert Ultimatum Russlands

Russland forderte Georgien ultimativ zum Abzug seiner Truppen aus Abchasien auf. Der Oberkommandierende der russischen Truppen in Abchasien, General Sergej Tschaban, verlangte am Montagmorgen den Abzug aller georgischen Kräfte binnen weniger Stunden aus der Sicherheitszone, die Georgier und Abchasen voneinander trennt. Von georgischer Seite wurde das Ultimatum sofort zurückgewiesen. "Kein georgischer Polizist wird seine Waffen niederlegen", sagte der georgische Reintegrationsminister Temur Jakobaschwili. General Tschaban erklärte, sollte die georgische Seite der Aufforderung nicht Folge leisten, würden russische Soldaten auf georgisches Territorium vordringen.


Russland verstärkte daraufhin seine Friedenstruppen in Abchasien: Mehr als 9000 Fallschirmjäger und 350 Panzer befinden sich nun in der zweiten abtrünnigen Region, die nordwestlich von Südossetien am Schwarzen Meer liegt. „Die Verstärkung der Friedenstruppen soll eine Wiederholung der Situation verhindern, mit der die russischen Friedenstruppen in Zchinvali konfrontiert waren", sagte ein Armeesprecher.

Tausende Tote, 30.000 auf der Flucht


Der russische Präsident Dmitri Medwedew beklagte "tausende Tote" im Konfliktgebiet. Nach unbestätigten Angaben aus Südossetien starben allein in Zchinwali etwa 2000 Menschen. In den Trümmern der weitgehend zerstörten Stadt harrten tausende Zivilisten aus. In den Straßen liegen Leichen. Die südossetische Führung sprach von einer humanitären Katastrophe. Tiflis bezifferte die Zahl der bisher bei den Kämpfen getöteten Georgier auf etwa 200.

Nach Angaben des UN-Flüchtlingskommissars Antonio Guterres flohen in den vergangenen Tagen mehr als 30 000 Menschen vor den Kämpfen aus Südossetien ins benachbarte Nordossetien (das auf russischem Territorium liegt). Tausende sollen jedoch zwischen den Fronten festsitzen.

EU und OSZE vermitteln

Die Europäische Union hat ihre Vermittlungen am Sonntag aufgenommen: Der französische Außenminister und amtierende EU-Ratsvorsitzende Bernard Kouchner und sein finnischer Kollege Alexander Stubb, als Vertreter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), sprachen am Sonntagabend mit dem georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili in Tiflis. Kouchner berichtete, Saakaschwili sei „entschlossen, Frieden zu schließen": „Der Friede muss wiederkommen und die Zivilbevölkerung muss geschützt werden, das ist das einzig Wichtige. Aus dieser Perspektive heraus akzeptierte Saakaschwili so ziemlich alle unserer Anregungen", erklärte Kouchner. So unterschrieb Saakaschwili auch in Anwesenheit von Kouchner und Stubb einen Waffenstillstandsentwurf.

Kouchner und Stubb stellten einen Vier-Stufen-Plan vor:

  1. Eine Feuerpause aller Konfliktparteien
  2. Alle Verwundeten sollen versorgt werden
  3. Rückzug aller Truppen auf beiden Seiten
  4. Rückkehr zu politischen Verhandlungen.


Stubb sagte, er sehe seine Rolle als Krisenmanager: "Wir sind nicht hier, um zu suchen, wer was wann, wo und wie getan hat." Kouchner und Stubb sollten noch im Laufe des Tages nach Moskau weiterreisen, um die russische Regierung zur Annahme des Textes zu bewegen. Die russischen Bombardements verurteilte Kouchner nicht: "Wenn ich verurteile, kann ich mir nicht mehr auf beiden Seiten Gehör verschafften", sagte Kouchner.

Saakaschwili bat die EU um effektive Hilfe: Sie solle die Gespräche über eine strategische Partnerschaft mit Russland so lange einfrieren, bis Russland seine Militäraktionen gegen Georgien einstelle. Die EU müsse Russland klarmachen, dass dei künftigen bilateralen Beziehungen auf dem Spiel stünden.

US-Präsident George W. Bush kritisierte die russische Militäraktion gegen Georgien als "unverhältnismäßige Reaktion". Sein Vizepräsident Dick Cheney sicherte Georgiens Staatschef Micheil Saakaschwili die Solidarität der USA im Konflikt mit Russland zu. In einem Telefongespräch mit Saakaschwili habe er gesagt, "die russische Aggression darf nicht unbeantwortet bleiben", teilte Cheneys Büro mit. Sollte sie fortgesetzt werden, würde das ernste Folgen für die Beziehungen Russland zu den USA, aber auch zur internationalen Gemeinschaft haben.

Putin: Saakaschwili "wie Saddam Hussein"

Der russische Ministerpräsident Wladimir Putin hat dem Westen im Krieg um Südossetien eine Verdrehung von Tatsachen vorgeworfen. Der Westen halte den wahren Aggressor im Konflikt um die abtrünnige georgische Region für das Opfer, sagte Putin am Montag. Den früheren irakischen Diktator Saddam Hussein habe man einst wegen seiner Verbrechen gegen das eigene Volk hingerichtet, sagte der Regierungschef. Im Gegensatz dazu nehme der Westen die georgische Führung unter Michail Saakaschwili in Schutz, obwohl diese "ossetische Dörfer ausgelöscht" sowie Kinder und ältere Menschen ermordet habe, kritisierte Putin.

Zudem kritisierte er, dass die USA Georgien dabei helfen, Soldaten aus dem Irak in die Heimat zu transportieren. Am Dienstag will Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy Kouchner zufolge in seiner Eigenschaft als EU-Ratsvorsitzender nach Moskau reisen, um in dem Konflikt zu vermitteln.

(Ag./Red.)

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