Zehn Lektionen aus einem Krieg ohne Not

Der Kaukasus-Konflikt schrammte nur knapp an einer globalen Krise vorbei. Höchste Zeit zu überlegen, was man aus ihm lernen kann.

Wien. Nach fünf Tagen Krieg erwacht der Westen aus seiner Schreckensstarre. Weltweit suchen Analytiker nach Fehlern und Versäumnissen – eine Übersicht:


Wer Problembären reizt, muss bluten.
Der Westen hat ignoriert, dass er dem russischen Nationalstolz über viele Jahre eine Kränkung nach der anderen zufügte. Die Osterweiterung der Nato, das vollständige Scheitern der russischen Balkan-Politik, ein US-Raketenschild vor der Haustür: Es war nur eine Frage der Zeit, dass Moskau zum Gegenangriff überging. Georgien war ungeschickt genug, die Gelegenheit zu bieten.


Der Westen hat keine Russland-Strategie.
Putins Augen – sie sind das Symbol für die Unsicherheit des Westens, wie man das neue Russland einschätzen soll. Bush und mit ihm Obama und Westeuropa erblicken darin eine „Seele“, McCain und mit ihm die neuen EU-Länder „nur die Buchstaben KGB“. Selten ist diese Diskrepanz so offen zu Tage getreten wie in den Reaktionen auf Russlands Blitzkrieg in den vergangenen Tagen.


Das „Leuchtfeuer“ hat die USA geblendet.
Als „Leuchtfeuer der Freiheit“ hat US-Präsident Bush Georgien gepriesen. Ein in den USA ausgebildeter Staatschef, neoliberale Wirtschaftsreformen und Unterstützung im Irak – was kann da schon schief gehen? Dabei hat die US-Regierung demokratische Defizite geflissentlich übersehen. Spätestens seit Michail Saakaschwili im Vorjahr Oppositionelle niederprügeln ließ, hätte ihr klar sein müssen, dass der Hitzkopf auch ein Sicherheitsrisiko darstellt.

•Die russische Armee ist wieder da.
Zugegeben: Ein besonders herausfordernder Gegner war das kleine Georgien nicht. Aber immerhin haben Russlands Streitkräfte eine kombinierte Aktion zu Wasser, zu Luft und am Lande ohne gröbere Koordinationsprobleme hingekriegt. Damit haben sie bewiesen, dass sie nicht mehr in dem desolaten Zustand sind, den man ihnen noch vor fünf Jahren nachgesagt hat.


•Konflikte friert man nicht auf ewig ein.
Für die meisten Südosseten hätte es noch lange so weitergehen können. Der unklare Status ihrer Provinz bescherte ihnen einen rechtlichen Graubereich, in dem Schmuggel und Korruption prächtig blühten. Doch Friedenstruppen kann man nicht für immer stationieren. Zumal dann nicht, wenn sie sich aus Soldaten einer gekränkten Großmacht und ihres paranoiden kleinen Nachbarn zusammensetzen.


•Wer Kosovo sagt, ...
Die Rechtsgelehrten werden sich noch lange streiten, ob die Unabhängigkeit des Kosovo völkerrechtlich gerechtfertigt ist. Auf jeden Fall wurde eine europäische Nachkriegs-Regel gebrochen: dass Grenzen nur im Einverständnis der Betroffenen geändert werden dürfen. Putin & Co. haben oft genug klargemacht, dass sie das Brechen dieser Regel als Freibrief dafür deuten, ihr Hegemonialstreben auszuleben. Das haben sie nun getan, und sie werden es wieder tun.


•Bodycheck für Nato- und EU-Aspiranten
So mancher TV-Zuseher zuckte zusammen, als er neben Saakaschwilis Rednerpult eine EU-Flagge sah. Nein, Georgien ist nicht Mitglied. Aber es drängt mit aller Macht in westliche Institutionen. Und ginge es nach den US-Falken, wäre es längst der Nato beigetreten. Dann wäre der Pakt verpflichtet, dem Partner militärisch beizustehen. Gottlob haben die Europäer das verhindert. Aus gutem Grund: Wer Territorialkonflikte so schürt und ein so eigenwilliges Verständnis von Demokratie hat wie Georgiens Führung, hat in EU und Nato nichts verloren.


Die "Sarajewo-Falle“ kann wieder zuschnappen.
Wussten Sie vor einer Woche, wo Zchinwali liegt? Kein Problem: Auch vor 1914 hatte kaum ein Franzose oder Amerikaner von Sarajewo gehört. Dennoch führte ein Attentat am geopolitisch objektiv unwichtigen Balkan zu einer Kettenreaktion. Schuld waren globale Bündnisse mit zu ungleichen Partnern. Die Entente ist nicht die Nato? Auch wenn Ähnlichkeiten in der Geschichte nicht beabsichtigt sind – rein zufällig sind sie nie.

•Amerika kommt ohne Russland nicht aus.
Zwar haben die USA ihre Kalte-Kriegs-Rhetorik schon lange nicht mehr so scharf geschliffen, doch Russland hat nichts zu befürchten. Denn Öl, Terror und Atombomben sind Amerika tausendmal wichtiger als Separatisten in kaukasischen Bergschluchten. Im Atomstreit mit dem Iran braucht es die Russen als Partner. Auch in Afghanistan und in Syrien kann ein feindlich gesinntes Russland wichtige US-Pläne durchkreuzen.


•Der Hausherr im Kreml heißt Putin.
Wer vertrat Russland bei der Eröffnung der Olympischen Spiele? Wladimir Putin. Wer reiste noch am Freitag in die Krisenregion, um die Truppen zu kontrollieren? Wladimir Putin. Wie heißt Russlands Präsident? Reingefallen. Er heißt zwar Dmitrij Medwedjew, aber das Sagen im Kreml, das ist nun endgültig klar, hat weiterhin sein Vorgänger.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2008)

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