Russen kündigen Abzug aus Georgien für Montag an

(c) EPA (Maxim Shipenkov)
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Der Druck auf Moskau wächst: In Nato und EU wird bereits über mögliche Sanktionen nachgedacht.

Tiflis (ag.). Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel verschärfte am Sonntag den Ton gegenüber Russland: Moskau müsse unverzüglich damit beginnen, seine Truppen aus Georgien abzuziehen, forderte sie nach einem Treffen mit dem georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili in Tiflis.

Merkel vermittelt derzeit zwischen Moskau und Tiflis, den wesentlichen Kriegsparteien im jüngsten Waffengang um die von Georgien abtrünnigen Provinzen Südossetien und Abchasien. Der kurze Krieg in der ersten August-Hälfte hat womöglich mehr als tausend Menschenleben gefordert, genaue Zahlen sind noch immer nicht bekannt. Die Kriegsparteien warfen einander wechselseitig Völkermord vor. Laut einem Waffenstillstandsabkommen müssen sich die russischen Truppen von georgischem Gebiet zurückziehen.

Man konnte sogar eine Art Ultimatum aus Merkels Äußerungen heraushören: Bis zum Sondertreffen der Nato-Außenminister am Dienstag müsse der Rückzug sichtbar sein, meinte die Kanzlerin. Russlands Staatschef Dmitrij Medwedjew hatte Stunden zuvor durch die ebenfalls vermittelnde französische Regierung ausrichten lassen, dass am heutigen Montag der Abzug beginne.

Wasserkraftwerk besetzt

Tiflis beschuldigte den Kriegsgegner indes, am Wochenende noch weiter auf georgisches Territorium vorgestoßen zu sein: Russische Soldaten und abchasische Rebellen hätten mehr als ein Dutzend georgische Dörfer nahe der abtrünnigen Provinz besetzt. Eine unabhängige Bestätigung dafür gab es zunächst nicht. Was der Generalstab in Moskau allerdings bestätigte: Russische Truppen haben Georgiens wichtigstes Wasserkraftwerk am Inguri-Fluss besetzt, das sich ebenfalls an der Grenze zu Abchasien befindet. Dies sei zum Schutz vor Sabotageakten geschehen. Das Kraftwerk erzeugt annähernd die Hälfte des landesweiten Energieverbrauchs.

Schwere Vorwürfe erhob Georgien auch in einer anderen Sache: Russische Kampfhubschrauber hätten vorsätzlich den Bordschomi-Nationalpark im Südosten Georgiens in Brand gesetzt und verhinderten nun, dass türkische Löschflugzeuge die Feuer bekämpfen könnten.

USA fordern Nato-Sanktionen

Neben Deutschland verschärften auch die USA weiter die rhetorische Gangart: Außenministerin Condoleezza Rice forderte Medwedjew auf, „seine Zusage diesmal einzuhalten“, nachdem er frühere Versprechen, aus Georgien abzuziehen, gebrochen habe. Und Washingtons Nato-Botschafter Kurt Volcker forderte die Überprüfung des bisherigen Dialogs der Nato mit Russland. Explizit nannte Volcker die regulären Treffen der Außen- und Verteidigungsminister mit ihren russischen Kollegen und den Dialog zu Themen wie Terrorismus oder Raketenabwehr: „Wir müssen uns fragen: Was sollten wir tun oder sollten wir etwas tun, um zu zeigen, dass es kein ,weiter so wie bisher‘ mit Russland gibt?“

Eine Sanktionierung des russischen Vorgehens in Georgien forderte auch der britische Außenminister David Miliband, der meinte, man müsse ein neues Partnerschaftsabkommen der EU mit Russland überdenken. Da wollte Oppositionsführer David Cameron nicht nachstehen – und regte an, reichen Russen keine Visa mehr für Einkaufstouren nach London auszustellen: Russische Truppen könnten nicht in andere Länder einmarschieren, während russische Käufer in Londoner Kaufhäuser marschierten. Rückendeckung erhielt Moskau indes einmal mehr von Deutschlands Ex-Kanzler Gerhard Schröder: Er bezeichnete Saakaschwili als „Hasardeur“ und sieht keinen Grund, die Partnerschaft mit Moskau aufzukündigen.

„Georgien wird Nato-Mitglied“

Während EU und Nato also über Liebesentzug für Moskau nachdenken, beteuerte Merkel in Tiflis volle Unterstützung für die Nato-Ambitionen Georgiens: „Georgien wird, wenn es das will, und das will es ja, Mitglied der Nato sein“, betonte sie. Beim letzten Nato-Gipfel im April hatten Deutschland und Frankreich – also genau jene Länder, die sich jetzt so eifrig der Pendel-Diplomatie befleißigen – eine Aufnahme Georgiens und der Ukraine in das Vorprogramm zum Vollbeitritt abgelehnt und damit für große Verbitterung in Tiflis und Kiew gesorgt.

Russland sieht sich durch den Drang Georgiens und der Ukraine in das westliche Bündnis bedroht. Der massive Vorstoß in Georgien wird von vielen Beobachtern denn auch als Strafaktion gegen die ehemalige Sowjetrepublik gedeutet. Der Angriff der georgischen Armee auf die abtrünnige Provinz Südossetien sei ein willkommener Anlass gewesen. Kommentar S. 27

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2008)

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