Gelähmte Städte, erstarrtes Leben

Wegen der Anwesenheit der russischen Truppen verharren die Menschen in Georgien weiter in Panik. Die Stadt Gori bleibt geschlossen, die Stadt Kaspi gelähmt.

So lala“ würden die Leute jetzt hier in Gori, der Stadt in Georgien, unter russischer Besatzung leben, sagt Vasja. Immerhin würden die russischen Soldaten niemanden anrühren. Und reden würden sie auch nicht. „Aber was schon reden? Ich will ja auch nicht mit ihnen sprechen.“

Sein ganzes Leben hat der 27-Jährige in Gori zugebracht. Da wollte er nicht weg, als die zentralgeorgische Stadt nahe Südossetien vor Tagen von russischen Truppen bombardiert wurde. Frau und Kind schickte er in die Hauptstadt Tiflis, versteckte sich im Keller seines Hauses und überlebte. „Ich weiß nicht, wie viele starben“, sagt er. „Ich habe 15 Tote gesehen. Viele Häuser sind zerstört.“

Das Gespräch mit Vasja muss am Telefon stattfinden. Entgegen anderslautender Meldungen lassen die Russen nämlich Journalisten nicht nach Gori. Und entgegen ebenfalls anderslautender Meldungen waren die Russen am Dienstag immer noch nicht von dort abgezogen. Sie haben die Stadt mit ihren einst 50.000 Einwohnern vielmehr abgeriegelt.

„Wir sind ja Christen“

„Die Situation ist stabil. Es wird nicht geschossen“, sagt Vasja. „Nur humanitäre Hilfe lässt man zu uns durch. Zwei Mal am Tag bekommen wir Zucker, auch Wurst.“ Die Belagerung Goris hat den Verkehr auf der Hauptroute zwischen Tiflis und der Schwarzmeerstadt Poti zusammenbrechen lassen. Nur Pick-ups mit georgischen Soldaten rollen herum. Im Schatten von Nussbäumen suchen junge Soldaten Zuflucht vor der Hitze.

Die Truppen an den Sperrposten können ihre Nervosität nicht verheimlichen: „Krieg ist immer furchterregend“, sagt der 25-jährige Tomas. Auf einer Anhöhe positioniert er mit seinen Kameraden eine Panzerabwehrkanone im harten Boden. „Wenn die anderen schießen, schießen wir auch. Wir holen Abchasien zurück.“

Georgische Mädchen würden von Russen vergewaltigt, meint einer. Alle verfinstern die Miene: „Die Nato müsste uns längst helfen. Wenigstens Gott wird uns beistehen. Wir sind ja Christen.“

Wenige Kilometer weiter, nahe der zwischen Gori und Tiflis gelegenen Stadt Kaspi, stehen russische Panzer. Nichts zu essen hätten die russischen Soldaten, und zu rauchen auch nicht, erzählen die Bewohner der Gegend. Georgierinnen brächten ihnen Essen. Wie so viel in diesem Krieg lässt sich das nicht verifizieren. Offensichtlich aber sind Bombentreffer in Kaspi. Zwei auf der Brücke, einer im Zug-Gleis, einer in der Zementfabrik.

„Kennen Sie den Unterschied zwischen Deutschen und Russen?“, fragt ein Passant. „Der Deutsche schaut sich etwas in einem anderen Land an und macht's zu Hause besser. Der Russe sieht was Besseres und bombt es aufs eigene Niveau zurück.“

Plündernde Kaukasier

In Kaspi trafen die Russen auch deutschen Besitz: Die Zementfabrik gehört der Heidelberger „Cement Group“, größter deutscher Investor in Georgien. Während der Kriegstage habe die Produktion geruht, der Schaden betrage eine Million Euro, sagt Direktor Lewan Baramadse. Jetzt arbeite man mit zehn Prozent der Kapazität. „Die Arbeiter sind weg“, so Baramadse, „die Panik wegen der Russen ist groß.“

Von 15.000 Bewohnern Kaspis sei die Hälfte geflüchtet, ist im Rathaus zu erfahren. Manche zelten im Wald, viele seien in Tiflis. Ihren Platz haben 6884 registrierte Flüchtlinge eingenommen, die von Gori und Umgebung nach Kaspi flohen. Etwa Surab Sabaschwili, der samt Gattin Tamari, vier Kindern und zwei Enkeln bei Verwandten Zuflucht fand: „Mit 13 Personen in einer Wohnung ist es eng. Ich schlafe im Auto“, sagt Surab. Nicht alle finden einen Sitzplatz unter der Weinlaube.

Zu Hause würden dunkle, russischsprachige Kaukasier plündern, hat Surab per Telefon erfahren. Die Erzählung deckt sich mit Beobachtungen, dass lokale Milizionäre von russischen Truppen nicht am Plündern gehindert würden. „Vielleicht teilen sie die Beute“, meint ein Militärexperte: „Die Frage ist, ob diese ,Schergen‘ unter Kontrolle sind, und ob sie bleiben, wenn die Russen gehen.“

Noch aber lassen sich die Russen damit Zeit. Sie scheinen neue Fakten auf der ethnischen Landkarte schaffen zu wollen.
Interview mit Schriftsteller Tschiladse S. 27

AUF EINEN BLICK

„Presse“-Korrespondent Eduard Steiner berichtet seit einer Woche aus der Krisenregion. Zuletzt besuchte er die zentralgeorgische Stadt Kaspi, die von russischen Jagdbombern heftig attackiert worden war. Unter anderem wurde dort ein Zementwerk schwer beschädigt.

Tausende Flüchtlinge kamen nach Kaspi, etwa aus der Stadt Gori, die ihrerseits von russischen Truppen seit Tagen eingeschlossen ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2008)

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