Historische Parallelen: Wenn Moskau die Panzer rollen lässt

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Das überharte Vorgehen Russlands gegen Georgien schockiert die Welt. Genauso wie vor 40 Jahren die Niederschlagung des Prager Frühlings durch den Warschauer Pakt.

Wien. Es ist schon frappant, wie ähnlich die aktuellen TV-Bilder der im georgischen Kernland stehenden russischen „Friedenstruppen“ und die historischen Aufnahmen von den in Prag einrollenden sowjetischen Panzereinheiten am 21. August 1968, also vor exakt 40 Jahren, sind. Auch US-Außenministerin Condoleezza Rice kam die Analogie in den Sinn: „Die russischen Streitkräfte müssen sofort aus Georgien abziehen. Wir sind doch nicht mehr im Jahr 1968.“

Aber: Prag 1968 ist nicht Gori 2008, die Geburtsstadt Stalins in Zentralgeorgien, in der sich die Russen im Zuge ihrer Strafexpedition gegen den georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili eingenistet haben. Es war Saakaschwili, der mit dem Befehl an seine Truppen am 8. August, die südossetische Hauptstadt Zchinwali zu erobern, den massiven russischen Gegenschlag provoziert hat. Ob er dabei in eine von Moskau gestellte Falle gelaufen ist, ist zweitrangig. Von der Tschechoslowakei indes ging 1968 nicht die geringste militärische Aggression gegen die Verbündeten im Warschauer Pakt aus.

Und doch: Gori 2008 ist wie Prag 1968, wenn man die beiden von Moskau aus gesteuerten Invasionen vom Standpunkt der damit vermittelten „Botschaft“ betrachtet. Denn diese Botschaft Moskaus an seine Nachbarn und Verbündeten lautete 1968 wie auch 2008: Untersteht euch, euch aus der russischen Einflusssphäre davonzuschleichen!

Russland ist unter Ex-Präsident Wladimir Putin wieder voll auf das alte geopolitische Denken in Einflusssphären verfallen. Moskau sieht sich vom Westen eingekreist, erachtet die Nato- und die EU-Erweiterung nach Osten als gegen sich gerichtet. In Georgien, das ebenso wie die Ukraine an die Tür der Nato klopft, wollen die Russen nun offenbar die rote Linie ziehen.

Vor allem jenen Staaten, die im einstigen Sowjetimperium bis 1989/1991 unter der Fuchtel Moskaus standen, hat das überharte und unverhältnismäßige Vorgehen der russischen Streitkräfte in Georgien den Schreck in die Glieder fahren lassen:

Die einstigen Warschauer-Pakt-Verbündeten, allen voran Polen, Tschechen und Ungarn, misstrauen den Russen schon aufgrund ihrer eigenen historischen Erfahrungen. Sie haben deshalb immer wieder auf die imperialen Reflexe Russlands hingewiesen, was von Westeuropäern als „russophob“ abgetan wurde; schließlich wollte man sich die guten Geschäftsbeziehungen zu Russland nicht stören lassen. Freilich, diese Staaten sind inzwischen Mitglieder der Nato, deren Schutz sie ja genau wegen ihrer Furcht vor einem eines Tages wieder erstarkenden Russland gesucht hatten.

Die baltischen Staaten sind die Ausnahme unter den früheren Sowjetrepubliken. Auch sie befinden sich inzwischen unter dem Schutzmantel der Nato und der EU. Estland und Lettland aber haben das Problem großer russischsprachiger Minderheiten. Und dass Russland seine Strafexpedition gegen Georgien damit begründete, es gelte russische Bürger zu schützen, hat Esten, Letten und Litauer ganz besonders sensibilisiert. Wie die Rigaer Zeitung „Diena“ entsetzt feststellte: „Der Panzer ist wieder zum wichtigsten außenpolitischen Instrument Moskaus geworden.“

Die Ukraine ist im erneut entfachten Ringen Russlands mit dem Westen um Einflusssphären der wichtigste Staat überhaupt. Das Land hat eine riesige russischsprachige Minderheit, die Ost- und Südostukraine sind pro-russisch gepolt, die West- und Zentralukraine westlich orientiert. In Sewastopol auf der Krim ankert die russische Schwarzmeerflotte, russische Oligarchen haben zahlreiche Schlüsselunternehmen der Ukraine unter ihre Kontrolle gebracht, der russische Öl- und Gastransit läuft über die Ukraine. Russische Interessen, Interessen und noch einmal Interessen, die Moskau bei einem Abgleiten der Ukraine ins westliche Lager gefährdet sähe. Der harte Militärschlag Russlands gegen Georgien war deshalb vor allem auch ein Signal an die Ukraine.

Auch die GUS-Staaten, die mit Russland in der „Gemeinschaft Unabhängiger Staaten“ zusammengespannten postsowjetischen Republiken, sehen Russlands Vorgehen in Georgien als Fanal – schweigen aber lieber. Diese Zurückhaltung hat Moskau derart erbost, dass seine Botschafter in Weißrussland und in den zentralasiatischen Staaten offen forderten, diese hätten sich gefälligst mit Russland zu solidarisieren. Ein politischer Kommentator in Bischkek (Kirgisistan) beklagte darauf: „Es ist die traditionelle russische Art, die Welt in ,Unsrige‘ und ,Ihrige‘ zu teilen – ohne die historischen und wirtschaftlichen Interessen der beteiligten Staaten auch nur im Geringsten zu berücksichtigen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.08.2008)

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