Russische Ohrfeige für Serbien

Moskaus Anerkennung der von Georgien abtrünnigen Provinzen bringt Belgrad gehörig in die Zwickmühle – und schwächt seine Position in der Kosovo-Frage.

BELGRAD.Es war eine regelrechte Ohrfeige für Serbien: Als es im Februar um die Abspaltung Kosovos ging, präsentierte sich Russland als wortgewaltiger Fürsprecher des Prinzips territorialer Unversehrtheit. Und nun hatte es nichts Eiligeres zu tun, als Georgiens abtrünnige Provinzen Abchasien und Südossetien anzuerkennen. Moskau hat also im Kaukasus genau das getan, was es auf dem Balkan angeblich verhindern wollte.

Serbiens Russland-Freunde bringt das in Erklärungsnöte, und so versucht sich einer der härtesten serbischen Gegner einer Loslösung des Kosovo nun in einer diplomatischen Rückwärtsrolle: Jahrelange ermüdete der nationalkonservative Ex-Premier Vojislav Kostunica ausländische Gäste und seine Landsleute mit seiner Litanei von der Notwendigkeit, die Regeln des Völkerrechts einzuhalten.

Doch nun erklärt der im Mai abgewählte Patriot die russische Anerkennung Südossetiens und Abchasiens als „angebrachte Reaktion“. Noch weiter geht Alexander Vucic, Generalsekretär der ultranationalistischen Radikalen Partei: „Wir könnten nun Abchasien und Südossetien anerkennen. Und wenn der Westen die Anerkennung des Kosovo widerruft, werden wir das auch im Fall der beiden Republiken tun.“

Russland kochte eigene Suppe

Die Erkenntnis, dass Russland die Kosovo-Frage nur für eigene Zwecke nutzte, beginnt allmählich auch den Serben zu dämmern. Moskaus jüngster Schachzug hat Belgrad in eine Zwickmühle manövriert. Folgt Serbien dem russischen Beispiel, würde der EU-Anwärter nicht nur seine Beitrittschancen beeinträchtigen, sondern auch den Anspruch auf den Kosovo praktisch aufgeben. Setzt sich Belgrad hingegen von Moskau ab, kann es sich beim Windmühlenkampf gegen den unabhängigen Kosovo der russischen Unterstützung nicht mehr sicher sein.

Ungewöhnlich wortkarg und zurückhaltend kommentieren denn auch Regierungsvertreter den Kaukasus-Konflikt. Belgrad habe immer vor dem Domino-Effekt durch die Anerkennung der einseitigen Unabhängigkeitserklärung des Kosovo gewarnt, erklärte Premier Mirko Cvetkovic am Donnerstag in einem Interview. Negative Auswirkungen auf die russische Rückendeckung in der Kosovo-Frage fürchte er nicht: „Nach unseren Informationen bleibt Russland bei seinem früheren Standpunkt.“

Serbiens Kommentatoren sind angesichts der ständigen Verweise Moskaus auf den „Präzedenzfall“ Kosovo zur Rechtfertigung des Vorgehens in Georgien geteilter Ansicht. Mit Abchasien und Südossetien habe Russland „praktisch“ auch Kosovo anerkannt, meint die Tageszeitung „Blic“. Russland werde am Ende auch Kosovo anerkennen, glaubt der Analytiker Vojin Dimitrijevic.

Zweifel, ob es Sinn hat, ausgerechnet mit Moskau eine anti-westliche UN-Mehrheit zur Anrufung des Internationalen Gerichtshofs in der Kosovo-Frage zusammenzutrommeln, äußert erneut der frühere Außenminister Goran Svilanovic: „Serbien sollte akzeptieren, dass die EU für Verhandlungen über den Kosovo der ausschließliche Partner ist.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.08.2008)

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