Kaukasus-Krise: „Südossetien ist nicht überlebensfähig“

(c) EPA (Sergei Karpukhin)
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Langfristig wird Russland den größten Schaden aus dem Konflikt ziehen, glauben Experten.

Wien. Offiziell dauerte der Krieg zwischen Georgien und Russland nur fünf Tage. An den wirtschaftlichen Folgen werden aber alle beteiligten Länder noch lange zu nagen haben. Kurzfristig wird sicher die georgische Wirtschaft am stärksten zurückgeworfen, ist Peter Havlik, Ökonom am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW), überzeugt. Der Krieg hat das Land nicht nur in Trümmer gelegt, auch das Vertrauen der ausländischen Investoren dürfte erheblich in Mitleidenschaft gezogen sein.

Georgier in Russland in Gefahr

Zählt man die direkten und indirekten Kosten des Konflikts zusammen, so ist in den wenigen Tagen ein Schaden von zwei Mrd. Euro für Georgien entstanden, schätzt Havlik, und das bei einem BIP von sieben Mrd. Euro im Vorjahr. Ursprünglich hatten die Ökonomen dem Land ein Wirtschaftswachstum von zehn Prozent prognostiziert. Dieser Wert dürfte auf etwa sechs Prozent fallen, erwartet das WIIW. Wie lange es dauern werde, bis die georgische Wirtschaft wieder Fuß fassen kann, wird nicht zuletzt mit der Höhe der internationalen Hilfslieferungen und dem Wiedererstarken der privaten Investitionen abhängen. Die EU hat Georgien bereits Hilfsgelder sowie eine „vertiefte Freihandelszone“ in Aussicht gestellt.

In der Vergangenheit flossen jährlich rund zwei Mrd. Euro an ausländischem Kapital nach Georgien. Der Großteil kam aus Russland, wo knapp 300.000 Georgier zumeist illegal arbeiten und ihre Landsleute offiziell mit rund 384 Mio. Euro an Geldüberweisungen (Remittances) unterstützen. Inoffiziell kommen über diesen Kanal jedes Jahr rund 685 Mio. Euro nach Georgien. Peter Havlik rechnet damit, dass dieser Zahlungsstrom zumindest vorübergehend versiegen wird. Die Lage der Georgier in Russland habe sich sehr verschlechtert. Kurzfristig habe es bereits einen Rückgang gegeben, ergänzt Vasily Astrov, ein Forscher am WIIW: Die Western Union, über die ein Großteil der Remittances abwickelt werden, hat die Überweisungen zwischen beiden Ländern mittlerweile eingestellt.

Mit den beiden abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien hat der Krieg im Kaukasus zumindest nach russischer Weltdeutung auch zwei neue Länder „geboren“, deren wirtschaftliche Zukunft von der Hilfe aus dem Kreml abhängen wird. Die Voraussetzungen für die beiden Regionen sind denkbar unterschiedlich. Die besseren Karten schreiben die Ökonomen Abchasien, einer als „sowjetische Riviera“ bekannten Touristenregion, zu. Abchasien profitiere vor allem von seiner Nähe zu Sotschi. Gleich nachdem die russische Stadt den Zuschlag für die Olympischen Winterspiele 2014 bekommen hat, holte der Kreml die georgischen Separatisten mit ins olympische Boot.

Infrastruktur und Tourismus werden seitdem in Vorbereitung auf die Spiele stark ausgebaut. Die Immobilienpreise an der Schwarzmeerküste schießen seit einigen Jahren in luftige Höhen.

Ganz anders die Situation in Südossetien. Die kleine Region beherbergt lediglich 70.000 Einwohner. Eine entwickelte Wirtschaft fehlt völlig, im Vorjahr erwirtschaftete das Land gerade einmal 100 Mio. Euro an BIP. „Südossetien kann nicht als eigenständiger Staat überleben“, warnt Havlik.

Größter Verlierer: Russland

Russland hat zwar Soforthilfe im Rahmen von 9,5 Mrd. Rubel (260 Mio. Euro) angekündigt, laut den Experten sei es aber fraglich, wie viel davon tatsächlich für den Wiederaufbau verwendet werde und wie viel in den Taschen der Beamten verschwinden wird. Auch die Topografie scheint es mit Südossetien nicht gut zu meinen. Ein einziger Tunnel verbindet das Land mit seinem russischen Partner. Alternativ dazu bleibt ein schmaler Weg über das Kaukasus-Gebirge. Langfristig den größten Schaden wird aber Russland davon tragen, erwarten die Experten. Zwar hielten sich die direkten Kosten für den Krieg und Wiederaufbauhilfe in Abchasien und Südossetien in Grenzen, doch die zunehmende Isolierung Russlands auf internationaler Ebene werde schwerwiegende Folgen für das Land haben. So hat die EU das Russland-Abkommen bis auf weiteres auf Eis gelegt. Auch die Aufnahme der Russen in die WTO wird zumindest in näherer Zukunft wohl von Georgien torpediert werden.

Havlik erwartet hier keine direkten Schäden für die russische Volkswirtschaft. Den größten Umsatz macht das Land ohnedies mit Öl und Gas, beide Güter berührt das WTO-Abkommen nicht. Doch der Entwicklung zu einer liberaleren Wirtschaftspolitik habe einen schweren Dämpfer erlitten. Nicht alle in Russland trauern darüber, fürchtet der Ökonom. Er erwartet eine Rückkehr zu protektionistischen Maßnahmen, die sowohl Russlands Volkswirtschaft als auch seinen Bürgern schaden würden.

Auf einen Blick

Unter den Folgen des russisch-georgischenKonflikts werden die Volkswirtschaften der Kriegsparteien noch lange leiden, sagen die Ökonomen vom WIIW.
Georgiens Wachstum bricht schon heuer um fast die Hälfte ein. Südossetien ist ohne fremde Hilfe nicht überlebensfähig.
Russland werdenvor allem die indirekten Folgen zu schaffen machen. Lediglich Abchasien dürfte sich besser entwickeln.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.09.2008)

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