Anschlag in Pakistan – ein Land am Abgrund

Marriott Islamabad
Marriott Islamabad(c) EPA (OLIVIER MATTHYS)
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Mit ihrem Anschlag auf das Marriott-Hotel in Islamabad wollten Fanatiker Pakistan ins Herz treffen. Sie sehen die Zeit gekommen, den Atomstaat zu kippen. Doch die Stimmung könnte sich nun gegen sie wenden.

DELHI/ISLAMABAD. Es sind Bilder wie aus einem Kriegsgebiet: Am Tag nach dem verheerenden Selbstmordattentat auf das Marriott-Hotel in Islamabad stießen Rettungskräfte in den verkohlten Trümmern immer noch auf Leichen. Ein zehn Meter tiefer Bombenkrater klaffte vor den rauchenden Ruinen des US-Luxus-Hotels.

Die Terroristen wollten den pakistanischen Staat mitten ins Herz treffen. Das Inferno spielte sich nahe dem Machtzentrum des Landes ab, wo sich der Sitz des Präsidenten, das Parlament und das Oberste Gericht befinden. Nun erwägen mehrere Botschaften, die Familien ihrer Mitarbeiter aus Pakistan abzuziehen. Das Land würde damit als genauso gefährlich eingestuft wie Afghanistan und der Irak.

„Sie wollen unser Land destabilisieren. Sie wollen unsere Demokratie destabilisieren. Sie wollen unser Land wirtschaftlich zerstören“, erklärte Premier Gilani. Der Verdacht richtete sich sofort gegen die al-Qaida und die Taliban.

Pakistan kämpft um sein Überleben. Das 165-Millionen-Einwohner-Land steht auch wirtschaftlich unter Druck. Die Landeswährung Rupie verlor zuletzt stark, die Inflation ist hoch. Die islamistischen Fanatiker wittern offenbar ihre Chance, den Atomstaat zu kippen und ihren Kampf von den Stammesgebieten an der Grenze zu Afghanistan in die Städte zu tragen.

„Das ist unser 11.September“

Bisher kämpften sie in 40 Milizen. Im Dezember 2007 schlossen sie sich zum Dachverband der „Tehrik-e-Taliban“ zusammen. Seitdem vergeht kaum ein Tag, an dem sich nicht irgendwo im Land ein Selbstmordattentäter in die Luft sprengt. Vergangenes Jahr starben bei solchen Anschlägen mehr als 3600 Menschen.

Seit Militärdiktator Zia ul-Haq das Land in seiner paranoiden Angst vor einer Invasion Indiens in den 70er-Jahren islamisierte, bekommt Pakistan die Extremisten nicht in den Griff. Aufgerüstet hat sie damals der Geheimdienst mit tätiger Unterstützung der USA, als Speerspitze gegen die Sowjet-Besatzer im benachbarten Afghanistan. Doch der islamistische Wahn richtete sich nach dem Abzug der Roten Armee gegen die USA – und später auch gegen den pakistanischen Staat.

Der Terrorakt in Islamabad war eine Machtdemonstration. Das Marriott und die Zone um das Hotel galten als besonders gut geschützt. Doch die Extremisten könnten sich damit selbst geschadet haben. Denn nun dürften sich immer mehr Menschen in Pakistan hinter den Kampf der Regierung gegen die Islamisten stellen.

Bisher lehnten viele Pakistaner den Krieg ihrer Armee im Nordwesten des Landes ab. Nicht wenige sahen darin einen Krieg gegen Glaubensbrüder. Doch die Bilder des Flammeninfernos im Herzen Islamabads dürften eine ungeheure Signalwirkung haben. „Das ist unser 11.September“, erklärten der Justizminister und gleich mehrere Kommentatoren.

Tschechiens Botschafter getötet

„Wir müssen das Krebsgeschwür des Terrorismus ausrotten“, sagte Asif Ali Zardari, der neue Präsident. Seit Wochen versucht er, den Menschen klarzumachen: Die Regierung kämpft nicht für die USA; Islamabad bekämpft die Fanatiker, weil sie eine Gefahr für alle Menschen in Pakistan sind. Diese Botschaft könnte nun ankommen.

Mindestens 54 Menschen starben beim größten Terroranschlag, den Islamabad je gesehen hat, darunter auch Tschechiens Botschafter Ivo Zdarek.

Das Attentat war gut vorbereitet. Erst wenige Stunden zuvor hatte Zardari seine erste Rede vor dem Parlament gehalten und darin die USA vor weiteren Einsätzen in Pakistan gewarnt. Als danach die Sicherheitsvorkehrungen in der Innenstadt gelockert wurden, raste ein LKW mit 600 kg Sprengstoff in die Absperrung vor dem Hotel. Aufnahmen einer Überwachungskamera zeigen, dass sich die Attentäter im Führerhaus in die Luft sprengten. Der große Sprengsatz detonierte vorerst nicht. Minutenlang versuchten Wachleute, das brennende Führerhaus zu löschen. Doch das Feuer brachte schließlich die gewaltige Bombe im Laderaum zur Explosion.

Immerhin hatten sich nach der ersten Detonation zahlreiche Menschen in Sicherheit gebracht. Wäre der große Sprengsatz sofort explodiert, hätten die Attentäter auf der Stelle hunderte Menschen getötet. Denn der Anschlag ereignete sich am Abend, als sich viele Menschen im Luxusrestaurant einfanden, um gemeinsam das Fastenbrechen zu begehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.09.2008)

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