Weißrussland: Lukaschenkos Schwenk nach Westen

(c) AP (Nikolai Petrov)
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Der exzentrische Staatschef nimmt das Zerwürfnis zwischen dem Westen und Moskau wegen der Kaukasus-Krise zum Anlass, um sich mit Europa und Amerika auszusöhnen. Halb im Bluff, halb im Ernst.

MOSKAU. Auch ein Weißrusse müsse auf zwei Beinen stehen, hatte Präsident Alexander Lukaschenko schon zu Jahresbeginn erklärt. Dass er bisher nur auf einem stand, sei im Zerwürfnis mit dem Westen begründet gewesen: „Wir haben den Westen praktisch verloren“, bedauerte Lukaschenko.

Nun will er ihn zurück. Seit Monaten streckt der 54-jährige Langzeitpräsident, der sich nach westlicher Lesart mit diktatorischen Führungsmethoden in die Isolation manövriert hat, die Fühler aus. Erfolgreich, wie es zunächst aussieht. Eben hat der Erzfeind USA die Sanktionen gegen zwei weißrussische Unternehmen aufgehoben. Und der EU-Außenministerrat hat in Aussicht gestellt, die Einreiseverbote für Lukaschenko und 40 Regierungsvertreter aufzuheben.

Noch vor Kurzem hatte der schnauzbärtige Alleinherrscher keine Gelegenheit ausgelassen, seine ohnehin geduldigen zehn Millionen Weißrussen zu knebeln und über den Westen zu spotten. Proteste nach der umstrittenen dritten Wiederwahl 2006 ließ er niederschlagen. Vertreter der Opposition landeten im Gefängnis. Im August ließ Lukaschenko drei der Verhafteten frei. Kurz davor schon hatte er antiwestliche Hardliner unter den Entscheidungsträger entlassen und durch konziliantere Figuren ersetzt.

Der Anlass ist gut gewählt: Am Sonntag wählt Weißrussland sein Parlament. Und weil sich das Verhältnis mit Russland nicht so gut gestaltet, wie dies zwischenzeitlich scheint, wirbt Lukaschenko darum, dass der Westen das Wahlergebnis anerkennt.

Günstige Konstellation für Minsk

Das Zerwürfnis zwischen dem Westen und Russland spielt Lukaschenko in die Hände. Weißrussland sei für Russland der einzige wohlgesinnte Nachbar an der Westgrenze. Für die EU aber eröffne sich die Möglichkeit, Moskaus Verbündeten an sich zu reißen, meint der Moskauer Politologe Fjodor Lukjanow: „Lukaschenko versteht es meisterhaft, aus jeder Situation einen Nutzen für sich herauszuschlagen. Und jetzt tun sich vor ihm riesige Möglichkeiten auf.“

Schon ziert sich Lukaschenko, zur Freude Moskaus auch die von Georgien abtrünnigen Republiken anzuerkennen. „Noch mehr aber spekuliert er darauf, mit der Drohung einer Westorientierung günstige Gaspreise von Russland zu erpressen“, meint Andrej Susdaltsew, GUS-Experte auf der Moskauer Wirtschaftshochschule: „Nur mit billigen Energiepreisen wird sich Lukaschenko über das Präsidentschaftswahljahr 2011 hinaus halten können“.

Bisher hatte Moskau geholfen, mit billigen Öl- und Gaspreisen Lukaschenkos unangefochtene Popularität im Land hochzuhalten. Mit Neujahr versuchte Russland, Ordnung in ein schlampiges Verhältnis zu bringen, regelte den Ölpreis neu und verfügte, den Gaspreis bis 2011 auf westeuropäisches Niveau anzuheben. Weil Moskau aber an der Zuverlässigkeit des wichtigen Transitlandes für den Gas- und Ölexport nach Europa zweifelt, will es schnell zwei neue Pipelines in Umgehung Weißrusslands errichten. Lukaschenko denkt derweil immer lauter über alternative Öllieferanten, aber auch über den Bau eines Atomkraftwerkes nach.

Der Westschwenk muss demnach nicht unbedingt ein Bluff sein. Vor allem die wirtschaftlichen Eliten hätten ein „echtes Interesse an Europa“, meint der Wiener Politologe Hans-Georg Heinrich. Und Weißrussland-Kenner Arkadi Moshes sekundiert: Das Land brauche westliche Technologien und Investitionen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.09.2008)

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