Welt 2025: „Amerikas Dominanz wird abnehmen“

(c) EPA (Dennis Brack)
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Der höchste US-Geheimdienst-Analytiker Thomas Fingar referierte über die wichtigsten geopolitischen Trends.

WIEN. „Das Ende des amerikanischen Zeitalters“, „Die post-amerikanische Welt“, „Das US-Modell hat ausgedient“, „Was ist mit dem amerikanischen Imperium passiert?“ Nicht erst seit dem Ausbruch der Finanzkrise häufen sich die Buchtitel und Schlagzeilen in den Medien, die die „Hypermacht USA“ im Abstieg sehen und die Rochaden und völlig neue Kräftekonstellationen auf dem geopolitischen Schachbrett prophezeien.

Dahinter steckt nicht nur anti-amerikanisches Wunschdenken oder Schwarzmalerei von westlichen Supermacht-Nostalgikern. Selbst Thomas Fingar, der oberste Analytiker des Nationalen Geheimdienstrates der USA, bei dem die Erkenntnisse von nicht weniger als 18 amerikanischen Nachrichtendiensten zusammenlaufen, sieht die globale Dominanz der USA im Schwinden.

Fingar stellt mit einem Team von Geheimdienstlern und Wissenschaftlern gerade die alle vier Jahre erscheinende globale Trend-analyse zusammen. Die Vorschau reicht dieses Mal bis ins Jahr 2025. „Global Trends 2025“ soll bis Anfang nächsten Jahres fertiggestellt sein und dem neuen Präsidenten präsentiert werden.

Bei einer Konferenz von Geheimdienst-Analytikern Anfang September in Orlando, Florida, hat Fingar erstmals öffentlich einige wichtige Trends vorgestellt, die in die Prognose einfließen werden:

Die Globalisierung wird weitergehen und sie wird sowohl Wohlstandsvermehrung als auch größere Ungleichheit bringen. „Die Kluft zwischen Reich und Arm – international, regional und innerstaatlich – wird wachsen.“

Die USA „werden eine herausragende Macht bleiben, aber die amerikanische Dominanz wird abnehmen“. Diese Dominanz im internationalen System sowohl auf militärischer, politischer, wirtschaftlicher und kultureller Ebene erodiere „und sie wird beschleunigt erodieren – ausgenommen im Militärbereich“. Aber auch wenn die militärische Dimension die herausragendste sei, bleibe sie doch die unbedeutendste. „Niemand wird uns mit einer massiven konventionellen Streitmacht attackieren. Die nukleare Abschreckung wird funktionieren.“

Die internationalen Organisationen werden immer weniger in der Lage sein, mit den neuen Herausforderungen einer globalisierten Welt fertig zu werden. Fingar nennt explizit die Vereinten Nationen, die Welthandelsorganisation, den Internationalen Währungsfonds, die Weltbank – aber auch Allianzen, vor allem die Nato. „Doch wir brauchen andere oder umgebaute oder wiederbelebte Institutionen, die sich mit den Folgen der Globalisierung befassen.“

Fingar befürchtet, dass die Unzufriedenheit mit der Politik der USA in der Welt so groß geworden sei, dass jede amerikanische Idee zur internationalen Tagesordnung, so gut sie auch immer sein möge, von vornherein diskreditiert sei. Freilich, auch Vorschläge Russlands, Chinas, Indiens oder der EU seien belastet. „Keiner wird für geraume Zeit in der Position sein, die Führerschaft zu übernehmen und die notwendigen Veränderungen im internationalen System vorantreiben zu helfen.“

Der Klimawandel, prophezeit Fingar, wird zwar nicht direkt dazu führen, dass Regierungen stürzen oder Kriege ausbrechen. „Aber er kann der Strohhalm sein, der dem Kamel das Rückgrat bricht – sprich: schwachen Regierungen und kollabierenden Staaten.“

Migration: Immer mehr Menschen verlassen ihre verarmten Länder und suchen bessere Lebensbedingungen in wohlhabenderen, reicheren Staaten. „Schon heute haben wir 25 Millionen solcher Migranten in der Welt – und diese Zahl wird weiter wachsen.“

Demografie: Westeuropa, Russland und Japan nähern sich bis in 15 Jahren einem Verhältnis, wo ein aktiv im Arbeitsprozess Stehender drei Pensionisten gegenübersteht. „Das ist eine schwere Last für wirtschaftliches Wachstum.“ Gerade in diesem Punkt sieht Fingar die USA in einer besseren Position: „Unter den hoch entwickelten Ländern stehen wir da ziemlich alleine da, weil wir weiterhin demografisches Wachstum haben werden.“

Energiesicherheit: Der Hunger nach Energierohstoffen werde wachsen, nicht nur im Westen, sondern gerade in den aufstrebenden Mächten China und Indien – zusammengenommen 2,4 Milliarden Menschen. „Das ist eine gewaltige Zahl – ob sich die Rechnung um Kilowattstunden oder Erdöl-Barrels dreht – mit allen möglichen Konsequenzen für den Ölpreis, für Treibhausgase und damit den Klimawandel.“

ZUR PERSON

Thomas Fingar ist als Vizedirektor der US-Geheimdienstbehörde für Analysen zuständig und zugleich der Vorsitzende des Nationalen Geheimdienstrates. Dieser veröffentlicht alle vier Jahre eine Prognose, in der globale Trends dargestellt werden. Derzeit tüftelt er gerade an „Global Trends 2025“. Fingar arbeitete als Akademiker, mehrere Jahre als Militäranalytiker in Heidelberg und stand der Geheimdienst- und Forschungsabteilung des US-Außenamtes vor. Fingar spricht sowohl Deutsch als auch Chinesisch. [Internet]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2008)

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